Dieser Aрtikel ist zuerst in der Ausgabe 2/2022 des Online-Magazins CrossingBorders - Wirtschaftsrecht weltweit des Deutschen AnwaltSpiegels erschienen.
Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit hat der Leser bisher wenig Gutes über Bulgarien gehört – ärmstes Land der EU, ausufernde Korruption, mangelnde Rechtssicherheit, schwache Administration. Jedoch nur Branchenkenner wissen, dass das Land im IT-Sektor inzwischen ein hohes Ansehen genießt und dass Auslandsinvestitionen trotz Corona und Ukraine-Krieg durchgehend wachsen, wobei die Szenarien von Selbständigen, die sich in Bulgarien niederlassen, bis zu ganzen IT-Abteilungen deutscher Automobilhersteller reichen. So hat die MBition GmbH, eine 100%-Tochter der Daimler AG, Ende 2021 ein Entwicklungsbüro in Sofia eröffnet. Die Softwareentwicklungsabteilungen der Konzerne Volkswagen (CARIAD) und ADIDAS prüfen derzeit ebenfalls die Eröffnungen eigener Niederlassungen in Sofia.
Worauf ist dieser Trend zurückzuführen? Wir versuchen, die Gründe zu erklären:
- Auch wenn dies vielen nicht bewusst ist, so ist Bulgarien doch seit 2007 vollwertiges EU-Mitglied, und es gelten die vier EU-Grundfreiheiten.
- Das Land gilt als ärmstes Land der Union mit den niedrigsten Einkommen. Die Nettogehälter im IT-Bereich erreichen jedoch inzwischen oft westeuropäisches Niveau, und der Unterschied zwischen Einkommen in diesem Sektor und „Normalgehältern“ ist überdurchschnittlich groß. Nebeneffekt ist, dass sehr viele junge Menschen einen Beruf im IT-Bereich wählen. In den Universitäten des Landes sind IT-Fächer seit Jahren stark gefragt. Daneben gibt es einige privat geführte Akademien, die mit viel Praxisbezug einen erfolgversprechenden Berufswechsel anbieten. All das führt zu einem großen Reservoir an gut ausgebildeten und motivierten IT-Spezialisten im Land.
- Es existiert ein ziemlich gut funktionierendes System für die Anwerbung von IT-Spezialisten aus Drittstaaten („Blaue Karte“), was den erleichterten Zuzug von Arbeitnehmern aus Asien, Afrika oder Russland erlaubt. Ukrainische Staatsbürger benötigen keine besondere Arbeitserlaubnis.
- Die Internetinfrastruktur ist speziell in den größeren Städten Bulgariens sehr gut, oft besser als zum Beispiel in Deutschland.
- Die Kosten für Büromieten, Strom, Heizung etc. sind niedriger als in Deutschland.
- Die Steuersätze sind niedrig – so entrichten Unternehmen eine pauschale Körperschaftsteuer in Höhe von 10%, eine zusätzliche Gewerbesteuer wie in Deutschland existiert nicht. Die Einkünfte von Selbständigen unterliegen sogar nur einer Einkommensteuer in Höhe von 7,5%.
- Die Lohnnebenkosten sind ebenfalls viel niedriger als in Deutschland. So würde in Bulgarien ein IT-Spezialist mit einem monatlichen Bruttogehalt von 5.000 Euro ein Nettogehalt von 4.300 Euro erhalten; die gesamten Lohnkosten für den Arbeitgeber würden sich auf etwa 5.460 Euro jährlich summieren.
Bulgarien ist bekannt für die ausufernde Korruption in Politik und Verwaltung. Und das schreckt westliche Unternehmen von Investitionen im Land ab. Der IT-Bereich ist jedoch weitgehend immun gegen korrupte Praktiken. Die entsprechenden Unternehmen nehmen nicht an öffentlichen Ausschreibungen teil, stellen keine Bauanträge, benötigen keine Umweltverträglichkeitsprüfungen und anderes mehr. Der einzige Berührungspunkt mit dem bulgarischen Staat läuft also in der Regel über die Finanzbehörden, welche ausländischen Investoren gegenüber – bei gut geführter Buchhaltung und pünktlicher Steuerzahlung – wohlgesonnen sind. Schließlich: Das Gerichtssystem, vor allem die Zivilgerichte, funktionieren viel besser, als ihr Ruf ist.
Was muss ein IT-Unternehmen tun, das in Bulgarien aktiv werden möchte?
Zuallererst muss sich der Investor die folgende Frage stellen: Sollen nur Arbeitnehmer angestellt werden, die auch im Homeoffice arbeiten können, oder soll eine selbständige Betriebsstätte errichtet werden?
Im ersten Fall reicht eine Anmeldung als ausländischer Arbeitgeber beim bulgarischen Finanzamt aus. Das Verfahren ist zügig und kostensparend durchzuführen. Danach müssen dem Finanzamt lediglich Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge gemeldet und an dieses abgeführt werden. Der einzige Nachteil hier ist, dass Zahlungen an das bulgarische Finanzamt nur von einem bulgarischen Bankkonto getätigt werden können. Der Arbeitgeber muss also entweder ein Konto bei einer bulgarischen Bank eröffnen oder die treuhänderischen Dienstleistungen eines Dritten in Anspruch nehmen.
Will der Investor eine selbständige Betriebsstätte errichten, so hat er die Möglichkeit, entweder eine Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlasung seiner ausländischen Gesellschaft zu gründen. Als Tochtergesellschaft kommt in der Praxis nur die bulgarische Version der GmbH in Frage. Aktien- und Kommanditgesellschaften sind ebenfalls möglich, aber unüblich. Die Gründung der bulgarischen GmbH ist zeitaufwendig, da sich die Banken bei Eröffnung eines Stammkapitalkontos – das Mindestkapital beträgt 1 Euro – Zeit für ihre Prüfungen nehmen. Grund sind die Maßnahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche, so dass die Fristen oft mehrere Wochen betragen. Ist das Konto jedoch eröffnet und das Stammkapital eingezahlt, erfolgt die Eintragung im Handelsregister innerhalb von ein bis zwei Arbeitstagen.
Die Tochtergesellschaft ist beschränkt haftbar und kann als eigene Rechtsperson auch gegenüber der Mutter Leistungen erbringen und abrechnen. Muss die Tochtergesellschaft jedoch geschlossen werden, dauert das Liquidationsverfahren in der Praxis nicht unter einem Jahr und ist umständlich.
Die Errichtung der Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft kann wesentlich schneller, innerhalb von ein bis zwei Arbeitstagen, erfolgen, da im Vorfeld keine umfangreichen Bankprüfungen notwendig sind. Auch für die Löschung aus dem Handelsregister bedarf es keines Liquidationsverfahrens. Einziger wesentlicher Nachteil ist, dass Zweigniederlassungen keine eigene Rechtspersönlichkeit haben und daher im Haftungsfall immer das ausländische Unternehmen in Anspruch genommen werden kann. Außerdem sollte die Zweigniederlassung nicht gegenüber der ausländischen Mutter abrechnen, da sich in der Praxis Probleme bei Steuerprüfungen und -erstattungen ergeben können.
Arbeitsrecht
Ist die Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung in Bulgarien einmal errichtet, so muss der IT-Investor sich vor allem mit den Besonderheiten des bulgarischen Arbeitsrechts befassen. Dabei sind vor allem folgende Punkte zu beachten:
- Der Abschluss eines Arbeitsvertrags muss dem bulgarischen Finanzamt innerhalb von drei Tagen gemeldet werden.
- Die Probezeit darf sechs Monate, die vertragliche Kündigungsfrist drei Monate nicht überschreiten.
- Der Mindesturlaub beträgt 20 Arbeitstage.
Ein Paradies für selbständige Programmierer
Jedoch kommen nicht nur IT-Unternehmen nach Bulgarien. In den vergangenen Jahren, insbesondere seit Beginn der Coronapandemie, ist ein erhöhter Zuzug von ausländischen Privatpersonen zu beobachten, die sich dann als Selbständige (Freelancer) niederlassen. Motivatoren sind in erster Linie der niedrige Einkommensteuersatz von 7,5% auf die Einkünfte, niedrige Sozialversicherungsbeiträge sowie niedrige Lebenserhaltungskosten, vor allem auf dem Land. Es haben sich inzwischen ganze Programmiererkolonien gebildet, wie zum Beispiel in dem bulgarischen Winterkurort Bansko, wo IT-Spezialisten aus der gesamten EU leben und arbeiten.
Aber nicht alle Selbständigen bleiben, um in Bulgarien zu leben; manche melden sich auch nur steuerlich an und reisen danach als „digitale Nomaden“ durch die Welt. Aus Sicht der bulgarischen Finanzbehörden ist es unerheblich, wie viel Zeit diese Freelancer in Bulgarien verbringen, solange nur die Steuern pünktlich gemeldet und entrichtet werden. Die Anmeldung als Selbständiger kann schnell erfolgen. Zuallererst muss eine Wohnadresse gefunden werden, unter welcher die polizeiliche Anmeldung zu erfolgen hat. Dies stellt für EU-Bürger keine besondere Herausforderung dar. Nach der polizeilichen Anmeldung muss im nächsten Schritt die Eintragung im BULSTAT-Register (Register der Selbständigen) erfolgen, was jedoch selten mehr als einen Arbeitstag Zeit in Anspruch nimmt. Die Steuernummer wird danach innerhalb von zwei Wochen zugeteilt.