Eine wichtige Neueinführung in der europäischen Erbschaftsregelung durch die Verordnung Nr. 650/2012 stellt das sog. Europäische Nachlasszeugnis dar (Art. 62).
Die Verwendung des Zeugnisses ist nicht verpflichtend und es tritt nicht an die Stelle der innerstaatlichen Schriftstücke, die in den Mitgliedstaaten zu ähnlichen Zwecken verwendet werden. Wird aber ein solches Europäisches Nachlasszeugnis ausgestellt, hat er direkte Rechtsfolgen innerhalb der ganzen Europäischen Union, wobei dazu kein spezielles Anerkennungsverfahren erforderlich ist. Sein Ziel ist insbesondere Erben, Vermächtnisnehmer mit direkten Erbrechten und Testamentsvollstrecker oder und anderer Nachlassverwalter beim Nachweisen ihrer Rechte in einem der Mitgliedstaaten zu erleichtern. Gemäß Art. 63 Absatz 2 kann das Zeugnis insbesondere als Nachweis für einen oder mehrere der folgenden speziellen Elemente verwendet werden:
a) die Rechtsstellung und/oder die Rechte jedes Erben oder gegebenenfalls Vermächtnisnehmers, der im Zeugnis genannt wird, und seinen jeweiligen Anteilen am Nachlass;
b) die Zuweisung eines bestimmten Vermögenswerts oder bestimmter Vermögenswerte des Nachlasses an die in dem Zeugnis als Erbe(n) oder gegebenenfalls als Vermächtnisnehmer genannte(n) Person(en);
c) die Befugnisse der in dem Zeugnis genannten Person zur Vollstreckung des Testaments oder Verwaltung des Nachlasses.
A. Verfahren für die Erteilung in Bulgarien
Das Zeugnis wird auf Antrag in der Form eines Formblattes von Erben, Vermächtnisnehmern mit direkten Erbrechten und Testamentsvollstreckern oder Nachlassverwaltern ausgestellt. Der Antrag wird bei der zuständigen Behörde, festgelegt vom anzuwendenden Recht – Gericht oder eine andere Behörde eingereicht (zuständig für Ausstellung von Nachlasszeugnissen in Bulgarien ist das Amtsgericht nach letztem Wohnsitz des Erblassers und beim Fehlen von einem solchen - nach seiner letzten Adresse im Land und beim Fehlen von einer Adresse im Land - das Sofioter Amtsgericht – nach Maßgabe vom Art. 627е ZPO). Jeder Staat hat sein eigenes Ausstellungsverfahren eingeführt, das sich von den Verfahren der übrigen Mitgliedsstaaten unterscheidet (https://e-justice.europa.eu/content_general_information-166-bg-de.do?member=1). Die Kommission hat eine Durchführungsverordnung zur Erstellung der Formblätter, die laut Erbrechtsverordnung zu verwenden sind.
Der Antrag soll ausführliche Information (soweit dem Antragsteller bekannt) enthalten und von den jeweiligen Originalunterlagen oder von ihrer Kopie begleitet werden, die den Bedingungen zur Bestätigung ihrer Echtheit entspricht und nämlich:
- Angaben zum Erblasser; Angaben zum Antragsteller; Angaben zum etwaigen Vertreter des Antragstellers; Angaben zum Ehegatten oder Partner des Erblassers und gegebenenfalls zu(m) ehemaligen Ehegatten oder Partner(n); Angaben zu sonstigen möglichen Berechtigten aufgrund einer Verfügung von Todes wegen und/oder nach gesetzlicher Erbfolge; den beabsichtigten Zweck des Zeugnisses nach Artikel 63; Kontaktangaben des Gerichts oder der sonstigen zuständigen Behörde, das oder die mit der Erbsache als solcher befasst ist oder war, sofern zutreffend; Elemente, auf den der Antragsteller gegebenenfalls die von ihm geltend gemachte Berechtigung am Nachlass und/ oder sein Recht zur Vollstreckung des Testaments des Erblassers und/oder das Recht zur Verwaltung von dessen Nachlass gründet; eine Angabe darüber, ob der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen errichtet hatte;
- eine Angabe darüber, ob der Erblasser einen Ehevertrag oder einen Vertrag in Bezug auf ein Verhältnis, das mit der Ehe vergleichbare Wirkungen entfaltet, geschlossen hatte (auch eine Abschrift beifügen); eine Angabe darüber, ob einer der Berechtigten eine Erklärung über die Annahme oder die Ausschlagung der Erbschaft abgegeben hat; eine Erklärung des Inhalts, dass nach bestem Wissen des Antragstellers kein Rechtsstreit in Bezug auf den zu bescheinigenden Sachverhalt anhängig ist; sonstige vom Antragsteller für die Ausstellung des Zeugnisses für nützlich erachtete Angaben.
B. Prüfung des Antrags
Nach Eingang des Antrags überprüft die Ausstellungsbehörde die vom Antragsteller übermittelten Angaben, Erklärungen, Schriftstücke und sonstigen Nachweise. Sie führt von Amts wegen die für diese Überprüfung erforderlichen Nachforschungen durch, soweit ihr eigenes Recht dies vorsieht oder zulässt, oder fordert den Antragsteller auf, weitere Nachweise vorzulegen, die sie für erforderlich erachtet.
Die Ausstellungsbehörde kann verlangen, dass Erklärungen unter Eid oder durch eidesstattliche Versicherung abgegeben werden.
Die Ausstellungsbehörde unternimmt alle erforderlichen Schritte, um die Berechtigten von der Beantragung eines Zeugnisses zu unterrichten. Sie hört, falls dies für die Feststellung des zu bescheinigenden Sachverhalts erforderlich ist, jeden Beteiligten, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter und gibt durch öffentliche Bekanntmachung anderen möglichen Berechtigten Gelegenheit, ihre Rechte geltend zu machen.
Es ist die Möglichkeit vorgesehen, dass die zuständige Behörde eines Mitgliedsstaates der Ausstellungsbehörde eines anderen Mitgliedsstaates auf Ersuchen die Angaben zur Verfügung, die insbesondere im Grundbuch, in Personenstandsregistern und in Registern enthalten sind, in denen Urkunden oder Tatsachen erfasst werden, die für die Rechtsnachfolge von Todes wegen oder den ehelichen Güterstand oder einen vergleichbaren Güterstand des Erblassers erheblich sind, sofern die zuständige Behörde nach innerstaatlichem Recht befugt wäre, diese Angaben einer anderen inländischen Behörde zur Verfügung zu stellen.
C. Ausstellung des Zeugnisses
Die Ausstellungsbehörde stellt das Zeugnis unverzüglich nach dem in diesem Kapitel festgelegten Verfahren aus, wenn der zu bescheinigende Sachverhalt nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder jedem anderen auf einen spezifischen Sachverhalt anzuwendenden Recht feststeht. Das Zeugnis wird in der Form eines Formblatts ausgestellt, festgelegt in der Durchführungsverordnung.
Die Ausstellung des Zeugnisses wird dann verweigert, wenn Einwände gegen den zu bescheinigenden Sachverhalt anhängig sind; oder wenn das Zeugnis mit einer Entscheidung zum selben Sachverhalt nicht vereinbar wäre.
Die Ausstellungsbehörde unternimmt alle erforderlichen Schritte, um die Berechtigten von der Beantragung eines Zeugnisses zu unterrichten.
D. Wirkungen des Zeugnisses
Das Europäische Nachlasszeugnis entfaltet seine Wirkungen in allen Mitgliedstaaten, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf.
Es wird vermutet, dass das Zeugnis die Sachverhalte, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder einem anderen auf spezifische Sachverhalte anzuwendenden Recht festgestellt wurden, zutreffend ausweist. Es wird vermutet, dass die Person, die im Zeugnis als Erbe, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter genannt ist, die in dem Zeugnis genannte Rechtsstellung und/oder die in dem Zeugnis aufgeführten Rechte oder Befugnisse hat und dass diese Rechte oder Befugnisse keinen anderen als den im Zeugnis aufgeführten Bedingungen und/oder Beschränkungen unterliegen. Wer auf der Grundlage der in dem Zeugnis enthaltenen Angaben einer Person Zahlungen leistet oder Vermögenswerte übergibt, die in dem Zeugnis als zur Entgegennahme derselben berechtigt bezeichnet wird, gilt als Person, die an einen zur Entgegennahme der Zahlungen oder Vermögenswerte Berechtigten geleistet hat, es sei denn, er wusste, dass das Zeugnis inhaltlich unrichtig ist, oder ihm war dies infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt.
Verfügt eine Person, die in dem Zeugnis als zur Verfügung über Nachlassvermögen berechtigt bezeichnet wird, über Nachlassvermögen zugunsten eines anderen, so gilt dieser andere, falls er auf der Grundlage der in dem Zeugnis enthaltenen Angaben handelt, als Person, die von einem zur Verfügung über das betreffende Vermögen Berechtigten erworben hat, es sei denn, er wusste, dass das Zeugnis inhaltlich unrichtig ist, oder ihm war dies infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt.
Das Zeugnis stellt ein wirksames Schriftstück für die Eintragung des Nachlassvermögens in das einschlägige Register eines Mitgliedstaats dar (z.B. bei Rechtsnachfolge von Todes wegen für eine Immobilie im Grundstücksregister bei der Eintragungsagentur von Republik Bulgarien).
E. Beglaubigte Abschriften des Zeugnisses
Die Ausstellungsbehörde bewahrt die Urschrift des Zeugnisses auf und stellt dem Antragsteller und jeder anderen Person, die ein berechtigtes Interesse nachweist, eine oder mehrere beglaubigte Abschriften aus. Die Ausstellungsbehörde führt ein Verzeichnis der Personen, denen beglaubigte Abschriften ausgestellt wurden.
Die beglaubigten Abschriften sind für einen begrenzten Zeitraum von sechs Monaten gültig, der in der beglaubigten Abschrift jeweils durch ein Ablaufdatum angegeben wird. In ordnungsgemäß begründeten Ausnahmefällen kann die Ausstellungsbehörde abweichend davon eine längere Gültigkeitsfrist beschließen. Nach Ablauf dieses Zeitraums muss jede Person, die sich im Besitz einer beglaubigten Abschrift befindet, bei der Ausstellungsbehörde eine Verlängerung der Gültigkeitsfrist der beglaubigten Abschrift oder eine neue beglaubigte Abschrift beantragen, um das Zeugnis zu den in der Verordnung angegebenen Zwecken verwenden zu können.
In der Verordnung ist eine Möglichkeit für Berichtigung des Zeugnisses im Falle eines festgestellten technischen Fehlers, für Änderung oder Widerruf vorgesehen, wenn festgestellt wird, dass das Zeugnis oder einzelne Elemente davon unrichtig sind. Die Ausstellungsbehörde unterrichtet unverzüglich alle Personen, denen beglaubigte Abschriften des Zeugnisses ausgestellt wurden, über eine Berichtigung, eine Änderung oder einen Widerruf des Zeugnisses.
IV. Anerkennung und Vollstreckbarkeit der Entscheidungen
Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Eingeführt wurde das Prinzip, dass eine Neubehandlung von einer im Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung unzulässig ist.
Die in einem Mitgliedstaat ergangenen und in diesem Staat vollstreckbaren Entscheidungen sind in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckbar, wenn sie auf Antrag eines Berechtigten dort für vollstreckbar erklärt worden sind (Art. 43 der Verordnung).
V. Annahme und Vollstreckbarkeit öffentlicher Urkunden
Eine in einem Mitgliedstaat errichtete öffentliche Urkunde hat in einem anderen Mitgliedstaat die gleiche formelle Beweiskraft wie im Ursprungsmitgliedstaat oder die damit am ehesten vergleichbare Wirkung, sofern dies der öffentlichen Ordnung des betreffenden Mitgliedstaats nicht offensichtlich widersprechen würde.
Öffentliche Urkunden, die im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sind, unterliegen der Vollstreckbarkeit in einem anderen Mitgliedstaat, wenn sie auf Antrag eines Berechtigten vom dortigen Gericht oder der zuständigen Behörde für vollstreckbar erklärt sind.