Den ausländischen Unternehmen, die sich auf dem Hoheitsgebiet der Republik Bulgarien wirtschaftlich betätigen möchten, steht die Wahl eine Gesellschaft zu gründen oder eine Zweigniederlassung anzumelden frei. Die ausländischen Unternehmen entscheiden sich immer häufiger für die Eröffnung einer Zweigniederlassung, und zwar aus unterschiedlichen wirtschaftlichen Gründen, mitunter auch aufgrund des schnelleren Anmeldeverfahrens, des Wegfalls der Erfordernis auf Eröffnung eines Kontos für das eingezahlte Kapital sowie wegen des schnelleren Schließungsverfahrens der Zweigniederlassung.
Im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit entstehen Verbindlichkeiten an Lieferanten, die auf dem Hoheitsgebiet der Republik Bulgarien ansässig und nach dem bulgarischen Umsatzsteuergesetz (UStG) gemeldet sind, und aus diesem Grund haben sie auch Umsatzsteuer zu berechnen. Wenn die Zweigniederlassung des ausländischen Unternehmens Rechnungen an ihren Kunden, die nicht die Hauptgesellschaft – das ausländische Unternehmen – sind, ausstellt, gestaltet sich die Erstattung der an die Lieferanten geleistete Umsatzsteuer komplikationslos. Rechtliche und faktische Komplexitäten entstehen erst bei der Hypothese der Rechnungsstellung der Zweigniederlassung an das ausländische Unternehmen, das sie gegründet hat. Im Rahmen dieses Verfahrens findet die bulgarische Verordnung Nr. N-9/16.12.2009 zur Regelung der Erstattung der Umsatzsteuer an einen nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Steuerpflichtigen sowie das Umsatzsteuergesetz und seine Durchführungsverordnung vorwiegend Anwendung.
I. Voraussetzungen für die Umsatzsteuererstattung. Feste Niederlassung auf dem Hoheitsgebiet der Republik Bulgarien
Nach Maßgabe der Bestimmungen des Art. 2 der Verordnung Nr. N-9/16.12.2009 darf die ausländische Person während des Erstattungszeitraums keinen Sitz, Geschäftsanschrift oder feste Niederlassung und sofern solche nicht vorhanden sind – ihre ständige Anschrift oder gewöhnlichen Aufenthalt im Land gehabt haben; während des Erstattungszeitraums darf sie keine Lieferungen mit Erfüllungsort im Land getätigt haben, ausgenommen der zum Nullsteuersatz besteuerten Lieferungen, Beförderungsleistungen und Nebenleistungen dazu und/oder Lieferungen an Empfänger, die nach Art. 82 Abs. 2 UStG die Steuerzahler sind und sie muss für die Umsatzsteuerzwecke in dem Land, in das sie ansässig ist, gemeldet sein.
Die ordnungsgemäße Anwendung der Norm des Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. N-9/16.12.2009 erfordert eine Auslegung im Zusammenhang mit Art. 3 lit. a der Richtlinie 2008/9/EG vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer sowie mit der zwingenden Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und nicht etwa in Verbindung mit § 1 Nr. 10 der Zusätzlichen Bestimmungen zum UStG.
Die Norm des Art. 3 lit. a der Richtlinie lautet: Diese Richtlinie gilt für jeden nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässigen Steuerpflichtigen, der folgende Voraussetzungen erfüllt:
a) er hat während des Erstattungszeitraums im Mitgliedstaat der Erstattung weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt wurden, noch hat er — in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung — dort seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort.
Nach Maßgabe der Norm des Art. 2 Nr. 1 der Verordnung Nr. N-9/16.12.2009 wird die Umsatzsteuer an einem nicht ansässigen Steuerpflichtigen erstattet und den Anspruch auf Umsatzsteuererstattung hat derjenige, der folgende Anforderungen erfüllt: 1. während des Erstattungszeitraums hat er keinen Sitz, Geschäftsanschrift oder feste Niederlassung und sofern solche nicht vorhanden sind – eine ständige Anschrift oder gewöhnlichen Aufenthalt im Land. In diesem Zusammenhang sollte der Begriff „feste Niederlassung“ auf dem Hoheitsgebiet der Republik Bulgarien untersucht werden.
Aus der Vergleichsanalyse des Inhalts des Art. 3 lit. a der Richtlinie mit der sie umsetzenden Bestimmung des Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. N-9/16.12.2009 wird festgestellt, dass die Regel von Art. 3 lit. a unzutreffend in das nationale Steuerrecht umgesetzt wurde. Für die Begriffsbestimmung der „festen Niederlassung“ führt die Richtlinie ein Kriterium, das zwei kumulative Voraussetzungen umfasst, die zum einen aus dem Vorliegen einer „festen Niederlassung“ und andererseits aus der Bewirkung von „Umsätzen“ herrühren, ein (in diesem Sinne gilt das Urteil des Gerichtshofs der EU vom 25. Oktober 2012 in den verbundenen Rechtssachen C-318/11 und C-391/11, Nr. 32). Die Norm des Art. 2 Abs. 1 der Verordnung gibt hingegen nur eine dieser Bedingungen – das Vorhandensein einer festen Niederlassung – wieder.
Aus diesem Grund und sofern eine klare, deutliche und unmissverständliche Regel, die von der Bestimmung des Art. 2 Nr. 1 der Verordnung Nr. N-9/16.12.2009 nicht genau und fristgemäß eingeführt wird, sollte der Bestimmung des Art. 3 lit. a der Richtlinie eine unmittelbare Wirkung zuerkannt und diese für die Regelung des materiellen Rechtsverhältnisses angewandt werden. In diesem Sinne erging auch der Beschluss Nr. 156 vom 11.01.2021 des Verwaltungsgerichts Sofia in der VS-Nr. 12275/2019, womit das „Gericht annimmt, dass in diesem Fall die Begründung des Gerichtshofs der EU, die im Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-318/11 und C-391/11, D. AG u. W. A/S (C-319/11) gegen S. dargelegt ist, zu übernehmen ist. In der Randnummer 36 dieses Urteils gibt das Gerichtshof der EU an, dass in Bezug auf diese letzte Frage dagegen darauf hinzuweisen ist, dass im Urteil vom 16 Juli 2009, Kommission/Italien (C‑244/08, Randnrn. 31 und 32) entschieden wurde, dass bei der Auslegung des in Art. 1 der Achten Richtlinie und jetzt in Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2008/9 enthaltenen Ausdrucks „feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt werden“ eine Person, die keine feste Niederlassung besitzt, die im Allgemeinen steuerbare Umsätze erzielt, als gebietsfremder Steuerpflichtiger anzusehen ist. Das Vorliegen von im betreffenden Mitgliedstaat bewirkten Umsätzen ist somit das entscheidende Kriterium dafür, den Rückgriff auf die Achte Richtlinie auszuschließen. Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass der Begriff „Umsätze“, wie er in dem Wortverbindung „von der aus Umsätze bewirkt werden“ verwendet wird, nur Ausgangsumsätze betreffen kann. Folglich muss nach Randnr. 37 des Urteils für den Ausschluss eines Erstattungsanspruchs festgestellt werden, dass die feste Niederlassung in dem Mitgliedstaat, in dem sie den Erstattungsantrag gestellt hat, tatsächlich steuerbare Umsätze bewirkt hat und nicht bloß dazu in der Lage gewesen wäre. In Randnr. 39 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass unter diesen Umständen der Anspruch auf Erstattung der entrichteten Vorsteuer anzuerkennen ist, ohne dass darüber hinaus zu prüfen ist, ob die fraglichen Unternehmen tatsächlich jeweils eine „feste Niederlassung“ im Sinne der auszulegenden Bestimmungen haben, da die beiden Voraussetzungen, aus denen sich das Kriterium „feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt wurden“ zusammensetzt, gleichzeitig erfüllt sein müssen. Aus dem oben Aufgeführten folgt, dass für den nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässigen Steuerpflichtigen der Anspruch auf Umsatzsteuererstattung nach Maßgabe der Richtlinie 2008/9/EU, bzw. der Verordnung Nr. N-9/16.12.2009 erst dann bewirkt wird, wenn er folgende Kriterien gleichzeitig erfüllt: a) er hat während des Erstattungszeitraums im Mitgliedstaat der Erstattung weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt wurden, noch hat er — in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung — dort seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort; b) er hat während des Erstattungszeitraums keine Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht, die als im Mitgliedstaat der Erstattung bewirkt gelten, mit Ausnahme der folgenden Umsätze: i) die Erbringung von Beförderungsleistungen und damit verbundene Nebentätigkeiten, die gemäß den Artikeln 144, 146, 148, 149, 151, 153, 159 oder Artikel 160 der Richtlinie 2006/112/EG steuerfrei sind; ii) Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen, deren Empfänger nach den Artikeln 194 bis 197 und Artikel 199 der Richtlinie 2006/112/EG die Mehrwertsteuer schuldet.
Dazu hat der Gerichtshof der EU im Urteil vom 25.10.2012 in den verbundenen Rechtssachen C‑318/11 und C‑319/11 Daimler AG, Widex auf eine Vorlagefrage geantwortet, dass bei einem Mehrwertsteuerpflichtigen, der seinen Sitz in einem Mitgliedstaat hat und in einem anderen Mitgliedstaat nur technische Tests durchführt oder Forschung betreibt, jedoch keine steuerbaren Umsätze bewirkt, nicht davon ausgegangen werden kann, dass er in diesem anderen Mitgliedstaat im Sinne von Art. 1 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates, geändert durch die Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 20. November 2006 und Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 „eine feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt wurden“, hat.
Angesichts des weiter oben Dargestellten ist für das Recht auf Vorsteuerabzug das Vorhandensein einer selbständigen Tätigkeit der Zweigniederlassung des ausländischen Unternehmens aus wesentlicher Bedeutung. In diesem Sinne erging auch der Beschluss Nr. 1911 vom 21.02.2023 des Obersten Verwaltungsgerichts in der VS-Nr. 4850/2022, I. Besetzung, vorsitzender Richter Yordan Konstantinov, laut welchen: Die erste Streitfrage darauf beruht, dass die Prüfurkunde eine Feststellung enthält, dass der Steuerpflichtige für die streitgegenständlichen Rechnungen aufgrund der zutreffenden Hypothese des Art. 3 Abs. 6 der DVUStG keinen Anspruch auf Vorsteuerabzug hat und angesichts dessen, dieser keine steuerbare Umsätze auf dem Hoheitsgebiet von Bulgarien erzielt. Angesichts der in der Sache gesammelten Beweise, der restlichen Feststellungen der Prüfurkunde und der Darlegungen des Direktors der Direktion für Berufung und Steuer- und Versicherungsfälle in seiner Entscheidung im Rahmen der durchgeführten Anfechtung anzunehmen ist, dass die streitgegenständlichen Lieferungen in die selbständige wirtschaftliche Tätigkeit des Hauptunternehmens (Muttergesellschaft), die auf dem Hoheitsgebiet von Österreich ausgeübt wird, wo es für die Mehrwertsteuerzwecke ansässig und gemeldet ist, eingeflossen sind und für sie ein Anspruch auf Vorsteuerabzug nach dem in Art. 168 ff. der Richtlinie 2006/112/EG festgelegten Grundsatz bewirkt wird.
II. Umsatzsteuererstattungsverfahren nach Maßgabe der Verordnung Nr. N-9/16.12.2009, indem die Umsatzsteuer nach Maßgabe dieser Verordnung dem nichtansässigen Steuerpflichtigen erstattet wird
Nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. N-9/16.12.2009 ist der Anspruch auf Umsatzsteuererstattung vom nicht ansässigen Steuerpflichtigen, der den Bestimmungen des Art. 2 entspricht, durch die Beantragung der Erstattung vor der zuständigen Einnahmenbehörde an die Nationale Einnahmenagentur durch Übermittlung einer gesonderten Erklärung über das von dem Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist, eingerichtete elektronische Portal, auszuüben.
Der Erstattungsantrag hat nach Art. 2 die Art der erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen aufgeschlüsselt nach den zur Richtlinie beigefügten Kennziffern sowie die Beschreibung der Geschäftstätigkeit zu enthalten. Der Anspruch auf Umsatzsteuererstattung kann spätestens bis zum 30. September des auf den Erstattungszeitraum folgenden Kalenderjahres, in das der Erstattungsanspruch für die Steuer auf erworbenen Gegenständen und erbrachten Dienstleistungen sich auf in Rechnung gestellten Lieferungen bezieht, für die der Steueranspruch entstanden ist sowie für die Einfuhr im Land, die im Erstattungszeitraum getätigt wurde, geltend gemacht werden.
Bezieht sich der Antrag für ein Quartal darf der zu erstattender Steuerbetrag nicht unter 800 Leva und für ein Kalenderjahr – nicht unter 100 Leva – liegen.
Die Einnahmenbehörde übermittelt dem Antragsteller ihre Entscheidung auf Bewilligung oder teilweisen oder gänzlichen Ablehnung des Antrags innerhalb einer Frist von vier Monaten ab dem Erstattungsantrag. Unabhängig des Zustellungsdatums des Beschlusses wird die zu erstattende Steuer innerhalb von zehn Arbeitstagen nach Ablauf der Viermonatsfrist, bzw. dem Ablauf der verlängerten Frist, wenn keine zusätzlichen Erklärungen und Unterlagen gefordert werden, auf das Konto der Person in Leva erstattet.
Der Beschluss über die teilweise oder vollständige Ablehnung des Antrags auf Erstattung kann nach Maßgabe der Bestimmungen zur Anfechtung von Aufrechnungs- und Erstattungsurkunden nach Art. 152 ff. der Steuer- und Versicherungsprozessordnung angefochten werden.