Die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ist ein untrennbarer Bestandteil jedes großen Vorhabens in Bulgarien. Unabhängig davon, ob Sie in einer Autobahn, einem Abfallwirtschaftsbetrieb, einer Windkraftanlage usw. investieren möchten, haben Sie zweifellos eine positive Feststellungsentscheidung der zuständigen bulgarischen Behörden über die Umweltauswirkungen Ihres Vorhabens einzuholen.
I. Historischer Rückblick und rechtlicher Rahmen
Der bulgarische Gesetzgeber hat das Verfahren zur UVP 1991 mit der Verabschiedung des ehem. Gesetzes über den Umweltschutz (USG) eingeführt. Damit wurden die Bestimmungen der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten implementiert. Die UVP wurde in der 2002 gültigen verabschiedeten Fassung des bulgarischen Gesetzes über den Umweltschutz erweitert. Hinsichtlich der UVP findet die Verordnung über die Durchführungsvorschriften zur Umweltverträglichkeitsprüfung (VDVUVP) von 2003 Anwendung.
Der Zweck der verabschiedeten Rechts- und Verwaltungsvorschriften des bulgarischen Gesetzgebers liegt größtenteils in der Übertragung der europäischen gesetzlichen Anforderungen zum Umweltschutz, die in der Richtlinie 2014/52/EU sowie im Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen, dessen Vertragsstaat Bulgarien ist, näher festgelegt sind.
II. Welche Investitionsvorhaben sind UVP-pflichtig
Unter Art. 92 USG sind in Bulgarien die Investitionsvorhaben, die der UVP-Pflicht unterliegen, geregelt und dort wird auch auf Anhänge Nr. 1 und 2 USG verwiesen. Verallgemeinernd kann man sagen, dass sämtliche Großvorhaben im Bereich des Bauwesens in Bulgarien, deren Ausführung erhebliche Umweltauswirkungen voraussetzt, UVP-pflichtig sind. Darunter fallen Straßenbauprojekte, eisenbahnspezifische Vorhaben, Aufbau von Skipisten, Skilift, Stauseen, Kraftwerke, einschl. KKW, WKW, Wind- und PV-Kraftwerke ab einer bestimmten Leistung, Raffinerien, Häfen, Flughäfen, Verarbeitungsbetriebe für Schwermetalle, Abfallwirtschaftsbetriebe, Kläranlagen, große Vieh- und Geflügelzuchtbetriebe, Steinbrüche, Leitungsnetze, Rohrleitungen u.a.
III. Verfahrensschritte
Die UVP besteht aus 7 grundlegenden Verfahrensschritten:
- Der erste Schritt besteht in der Unterrichtung der zuständigen bulgarischen Behörden und betroffene Bevölkerung. Der Investor ist zur Unterrichtung der zuständigen Behörden – des Ministeriums für Umwelt und Gewässer (MUG) und der Bezirksinspektionen für Umwelt und Gewässer (BIUG) je nach Ausmaß seines Vorhabens - über das geplante Vorhaben verpflichtet. Dazu hat der Vorhabenträger auch die betroffene Bevölkerung schriftlich in Kenntnis zu setzen, indem er das geplante Vorhaben auf seiner Website und durch die Massenmedien oder eine andere geeignete Form bekanntgibt. Dazu ist zu vermerken, dass auf der Website des MUG ein öffentliches Register zu den UVP-Verfahren (Linkt zum Register: http://registers.moew.government.bg/ovos/) veröffentlicht ist.
- Im zweiten Schritt ist eine Entscheidung über die Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung in Bulgarien zu treffen. Die zuständige Behörde prüft, ob für das entsprechende Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist und gibt das dem Vorhabenträger bekannt.
- Der dritte Schritt ist mit der Festlegung des Umfangs, Inhalts und der Form des UVP-Berichts sowie mit seiner Erstellung verbunden. Der UVP-Bericht hat ausführliche Angaben zu enthalten: Beschreibung des geplanten Baus, Merkmale des aktuellen Zustands der Umwelt und ihrer Bestandteile, Beschreibung der möglichen erheblichen Umweltauswirkungen des Vorhabens, Beschreibung der vernünftigen für das Vorhaben relevanten Alternativen, Liste der Quellen für die Angaben, Beschreibung der zur Ermittlung der Umweltauswirkungen genutzten Methoden, Beschreibung der Maßnahmen, mit denen das Auftreten erheblicher nachteiliger Umweltauswirkungen vermindert werden soll. Dabei ist die zu erwartende relevante direkte oder indirekte Auswirkung des geplanten Vorhabens auf die Bevölkerung und menschliche Gesundheit, biologische Vielfalt, einschließlich auf die Arten und Habitate, die innerhalb der Schutzgebiete des Nationalen ökologischen Netzwerks unter Schutz stehen, auf das Erdinnere, den Erdboden, das Wasser, die Luft und das Klima, die materiellen Vermögenswerte, das kulturelle Erbe und die Landschaft zu berücksichtigen. Der UVP-Bericht wird von einem Team aus unabhängigen Fachleuten in mehreren Wissenschaftsbereichen – Ökologie, Ornithologie usw. – erstellt.
- Nach Vorlage des UPV-Berichts wird den zuständigen Behörden die Möglichkeit dessen Qualität zu bewerten (vierter Schritt) eingeräumt. Oder anders ausgedrückt, es wird die Übereinstimmung zwischen UPV-Bericht und Vorgaben bewertet. Diese Bewertung ist von der Behörde binnen einer Frist von 30 Tagen nach dem Einreichen des Berichts zu erstellen. Die Bewertung kann positiv oder negativ ausfallen, indem bei einem negativen Ergebnis die Behörde Anweisungen zur Beseitigung der Mängel und Unstimmigkeiten im Bericht erteilt. Sollte der Bericht drei negative Bewertungen erteilt bekommen, wird das Verfahren zur UVP eingestellt. Gegen die Entscheidung über die Einstellung kann vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Widerspruch eingelegt werden.
- Sollte die Bewertung des Berichts positiv ausfallen, ist zum fünften Schritt überzugehen – Beteiligung der Öffentlichkeit. Dieses Verfahren findet in den Gemeinden, Bezirken und Rathäusern, die von der Umsetzung des geplanten Vorhabens unmittelbar betroffen sind, statt. Jeder einzelne Bürger darf sich mit dem Inhalt des Berichts vertraut machen sowie sich im Rahmen der öffentlichen Konsultation durch Teilnahme an Besprechungen und Fragestellung an die Fachleute äußern. Die Öffentlichkeit wird über die öffentliche Konsultation durch Bekanntmachung als Aushang im Gebäude der Gemeinde/des Rathauses, auf der Website der Gemeinde, auf der Website des Vorhabenträgers und durch die Massenmedien, einschließlich der örtlichen Presse und Rundfunk in Kenntnis gesetzt. Das Protokoll über die öffentliche Konsultation wird der zuständigen Behörde, die infolge der im Rahmen der öffentlichen Konsultation geäußerten Meinungen, Stellungnahmen und Einwendungen über eine Ergänzung des Berichts entscheiden und diese in Auftrag geben kann, eingereicht. Sollte eine solche Änderung des Berichts erforderlich sein, ist eine erneute Beteiligung der Öffentlichkeit zu gewährleisten.
- Nach Abschluss des öffentlichen Beteiligungsverfahrens ist der vorletzte Schritt des Verfahrens einzuleiten – Entscheidung über die UVP. Das ist der schwerwiegendste und wichtigste Schritt des Verfahrens, indem eine positive Entscheidung über die UVP eine absolute Voraussetzung für die Umsetzung des geplanten Vorhabens schafft. Diese Entscheidung ist binnen 45 Tage nach Abschluss des öffentlichen Beteiligungsverfahrens zu erlassen. Die Entscheidung über die Umweltverträglichkeitsprüfung fällt positiv aus, wenn keine begründeten rechtmäßigen Einwendungen gegen die Umsetzung des geplanten Vorhabens vorliegen und der Plan über die Maßnahmen zum Ausschluss, zur Verminderung oder zum Ausgleich voraussichtlicher erheblicher nachteiliger Umweltauswirkungen die Einhaltung der Vorschriften zur Umweltqualität und Gesundheitsschutz gewährleistet. Die Entscheidung kann auch negativ ausfallen, indem meistens Folgendes dazu führt: der Vorhabenträger hat keine Alternativen für die Umsetzung des geplanten Vorhabens, womit die Einhaltung der Vorschriften für die Umweltqualität gewährleistet wird, vorgeschlagen oder genehmigt; dadurch werden Schutzgebiete erheblich beschädigt; es wurden begründete rechtmäßige Einwendungen eingebracht u. a.
- Im letzten Verfahrensschritt findet die Überwachung der Umsetzung der Entscheidung statt. Die Überwachung findet seitens der zuständigen Behörden bei der Genehmigung und Abstimmung der geplanten Vorhaben, während der Bauarbeiten, bei der Erteilung der Nutzungsgenehmigung für das Bauwerk und während des Betriebs des Objekts statt.
IV. Widerspruch gegen die Entscheidung über die UVP
Gegen jede positive oder negative Entscheidung über die UVP kann von den Personen, die ein berechtigtes Interesse haben, binnen einer Frist von 14 Tagen nach Bekanntmachung gem. der entsprechenden Rechtsordnung Widerspruch eingelegt werden. Bei negativen Entscheidungen ist der Vorhabenträger die Person mit berechtigtem Interesse. In letzter Zeit ist es äußerst populär geworden, dass positive Entscheidungen seitens verschiedener Naturschutzorganisation angefochten werden.
Das Rechtsbehelfsverfahren wird durch die Entscheidung erlassende Verwaltungsbehörde vom sachlich zuständigen Gericht geführt. Das Verfahren erstreckt sich auf zwei Instanzen, indem die Beschlüsse der Verwaltungsgerichtshöfe vor dem Obersten Verwaltungsgericht (OVG) Bulgariens und die Beschlüsse der OVG-Kammer mit drei Richtern als erste Instanz vor der OVG-Kammer mit fünf Richtern angefochten werden können.
V. Hypothesen beim Widerspruch gegen die Entscheidungen. Rechtsprechung.
In diesem Abschnitt werden einige spezifische Hypothesen aus der Sicht der Gerichtshöfe, die in den Widerspruchsverfahren der Entscheidungen über die Umweltverträglichkeitsprüfung in Bulgarien Ausdruck finden, näher betrachtet.
Zu den häufigsten Aufhebungsgründen bei negativen Entscheidungen hinsichtlich einer UVP zählt die Motivation zu ihrer Erlassung aufgrund von Einwendungen, die nach der Öffentlichkeitsbeteiligung vorgetragen worden sind. In diesem Fall ist die Entscheidung erlassende Behörde verpflichtet, neue Angaben, eine Bearbeitung und Ergänzung des UVP-Berichts vom Vorhabenträger zu fordern.
Eine weitere Hypothese, bei der die negativen Entscheidungen hinsichtlich der Umweltverträglichkeitsprüfung aufgehoben werden, ist bei offensichtlichem Widerspruch und Nichtübereinstimmung zwischen den Schlussfolgerungen der Verwaltungsbehörden, die während des UVP-Verfahrens abgegeben worden sind, einschließlich bei positiver Bewertung der Berichte, mangels negativer Stellungnahmen der zuständigen Behörden sowie mangels eingegangener Einwendungen während der Öffentlichkeitsbeteiligung und Schlussfolgerungen aus der Entscheidung womit die Umsetzung des geplanten Vorhabens nicht gebilligt wird, vorzufinden.
Diese zwei Hypothesen stellen ein klassisches Beispiel des Verstoßes gegen Art. 35 der Verwaltungsprozessordnung (VPO) dar, womit festgelegt ist, dass der einzelne Verwaltungsbescheid nach Klärung der für den Einzelfall relevanten Tatsachen und Umstände und Besprechung der Darlegungen und Einwendungen der betroffenen Öffentlichkeit und Organisationen, sofern solche eingereicht, bzw. eingelegt worden sind, auszustellen ist.
Es ist häufig der Fall, dass es auch zur Einstellung des UVP-Verfahrens infolge drei negativer Bewertungen des Berichts (Art. 15 Abs. 4 VDVUVP) kommt. Zur Rechtmäßigkeit des Beschlusses bedarf es laut Gesetzgebung für die erste negative Bewertung der Feststellung und Ausschöpfung sämtlicher Lücken des Berichts und für die zweite und dritte negative Bewertung - der Nichtbeseitigung der in der ersten Bewertung festgestellten Lücken. In vielen Fällen ist das jedoch nicht der Fall, indem mit der zweiten und dritten negativen Bewertung die Entscheidung erlassende Verwaltungsbehörde neue Lücken feststellt, die bei der ersten Bewertung versäumt worden sind. Das ist eine Grundlage zur Aufhebung des Beschlusses zur Einstellung und Zurückweisung des Verfahrens mit verbindlichen Anweisungen an die Verwaltungsbehörde.
VI. Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Bulgarien
Mit dem Urteil vom 14.01.2016 hat der Europäische Gerichtshof Bulgarien wegen den Verstoß gegen die ökologischen EU-Rechtsvorschriften verurteilt.
Link zum Urteil:
Der bulgarische Staat wurde in 4 Paragraphen schuldig gesprochen, indem zu den wesentlichen diese zählen, dass die Republik Bulgarien die Errichtung mehrerer Windkraftanlagen und einer Hotelanlage mit Golfplatz innerhalb der Schutzgebiete Kaliakra und Belite skali genehmigt hat und die erforderlichen Maßnahmen zur Erhaltung von Flora und Fauna nicht getroffen hat und damit gegen ihren Verpflichtungen nach der Richtlinie 2009/147/EG über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten und der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten verstoßen hat.
Für eines der Projekte hat die bulgarische Verwaltung eine Entscheidung getroffen, mit der festgestellt wurde, dass keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen werden müsse und den anderen Vorhaben wurde eine positive Bewertung der UVP erteilt, obwohl sie Lebensräume in Schutzgebieten beeinträchtigen. Der Europäische Gerichtshof ist eindeutig, dass die Entscheidungen unserer Behörden gegen die ökologischen EU-Rechtsvorschriften, die in den weiter oben genannten Richtlinien geregelt sind und für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlich sind, verstoßen.