Die Einführung des Europäischen Vollstreckungstitels (EVT) für unbestrittene Forderungen durch die Verordnung (EG) 805/2004 des Europäischen Parlaments und Rates hat zur wesentlichen Verbesserung der Durchsetzung der Rechte natürlicher und juristischer Personen im Gebiet der Europäischen Union (ausgenommen von Dänemark (1)) und insbesondere zur Erleichterung des Vollstreckungsverfahrens (Betreibung) ihrer Forderungen geführt. Mit der Verordnung (EG) 805/2004 wurden Mindestvorschriften für den freien Verkehr der gerichtlichen Entscheidungen (Urteile), gerichtlichen Vergleiche und öffentlichen Urkunden, ohne dass im Vollstreckungsmitgliedstaat ein Zwischenverfahren vor der Anerkennung und Vollstreckung angestrengt werden muss, festgelegt.
I. Was ist ein Europäischer Vollstreckungstitel?
Die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel (EVT) stellt im Wesentlichen ein Begleitdokument zur gerichtlichen Entscheidung, gerichtlichen Vergleich oder öffentlichen Urkunde dar und trägt zur freien Ausführung dieses Akts auf dem Gebiet eines jeden EU-Mitgliedstaats bei.
II. Für welche Fälle wird ein EVT ausgestellt?
Die Verordnung (EG) 805/2004 zur Einführung eines EVT findet für Zivil- und Handelssachen, ausgenommen von Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Angelegenheiten sowie für die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte Anwendung.
Die Verordnung ist nicht auf den Personenstand, die Rechts- und Handlungsfähigkeit sowie die gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen, die ehelichen Güterstände, das Gebiet des Erbrechts, einschließlich des Testamentsrechts; auf Insolvenzen, Vergleiche und ähnliche Verfahren für Gesellschaften und juristischen Personen; die soziale Sicherheit; die Schiedsgerichtsbarkeit anzuwenden.
Eine Bestätigung als ETV wird zu folgenden Urkunden erteilt:
- gerichtlichen Entscheidungen, und zwar zu jeder von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung wie Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten;
- gerichtliche Vergleiche, genehmigt oder geschlossen am oder ab dem 21. Januar 2005 (wirksam für alle Mitgliedstaaten, ausgenommen Bulgarien und Rumänien) oder dem 1. Januar 2007 (für Bulgarien und Rumänien);
- öffentliche Urkunden – Schriftstücke, die als öffentliche Urkunde angenommen oder registriert worden sind (2), wobei die Beurkundung sich auf die Unterschrift und den Inhalt der Urkunde bezieht und von einer Behörde oder einer anderen von dem Ursprungsmitgliedstaat hierzu ermächtigten Stelle vorgenommen worden ist; oder eine von der Verwaltungsbehörde geschlossene oder von ihr beurkundete Unterhaltsvereinbarung oder –verpflichtung (3).
III. Unbestrittene Forderung
Die Verordnung (EG) 805/2004 gilt lediglich für unbestrittene Forderungen. Gemäß der geltenden europäischen Rechtsvorschrift gilt eine Forderung als „unbestritten“, wenn:
- der Schuldner ihr im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich durch Anerkenntnis oder durch einen von einem Gericht gebilligten oder vor einem Gericht im Laufe eines Verfahrens geschlossenen Vergleich zugestimmt hat;
- der Schuldner ihr im gerichtlichen Verfahren zu keiner Zeit nach den maßgeblichen Verfahrensvorschriften des Rechts des Ursprungsmitgliedstaats widersprochen hat;
- der Schuldner zu einer Gerichtsverhandlung über die Forderung nicht erschienen oder dabei nicht vertreten worden ist, nachdem er zuvor im gerichtlichen Verfahren der Forderung widersprochen hatte, sofern ein solches Verhalten nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats als stillschweigendes Zugeständnis der Forderung oder des vom Gläubiger behaupteten Sachverhalts anzusehen ist;
- der Schuldner die Forderung ausdrücklich in einer öffentlichen Urkunde anerkannt hat.
IV. Ausstellung der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel
Der Antrag auf Ausstellung eines EVT ist an die vom Ursprungsmitgliedstaat bestimmte Stelle zu richten. In der Regel ist das das Gericht, das für die Entscheidung in der Hauptsache angerufen worden ist. Dazu ist der Antrag unter Berücksichtigung des im Land des zuständigen Gerichts geltenden Rechts zu stellen. Der Antrag auf Ausstellung kann jederzeit bei oder nach Einleitung des Verfahrens gestellt werden. Die Bestätigung stellt ein Formblatt dar, das je nachdem, ob es eine gerichtliche Entscheidung, einen gerichtlichen Vergleich oder eine öffentliche Urkunde begleiten wird, unter Anhang I, II oder III beigefügt ist. Dieses hat verschiedene Angaben zu erhalten, die in folgenden Kategorien aufgeteilt werden können:
- Angaben zu den Parteien – Name und Anschrift;
- Angaben zur Höhe der Forderung – Hauptforderung, Zinsen (sofern zu leisten ist), Zinssatz und Zeitraum, für den die Zinsen gefordert werden, Höhe der Kosten;
- Bezeichnung des Forderungsgrundes;
- Unterrichtung des Schuldners über die Möglichkeit zum Bestreiten der Forderung – verfahrensrechtliche Erfordernisse für das Bestreiten der Forderung, einschließlich Frist, innerhalb deren die Forderung schriftlich bestritten werden kann, Konsequenzen des Nichtbestreitens oder des Nichterscheinens.
V. Vollstreckung des ETV in Bulgarien
Wie bereits weiter oben erwähnt, bedarf die Vollstreckung einer Forderung, die durch eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist, kein Zwischenverfahren vor der Anerkennung und Vollstreckung (Exequaturverfahren).
Im Gegensatz zum Verfahren nach der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 bedarf das Verfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 einer Vollstreckbarkeitserklärung von den Gerichten des Vollstreckungsmitgliedstaats.
Die Vollstreckung ist in Bulgarien unter Art. 624a ZPO geregelt. Der Antrag auf Ausstellung eines Vollstreckungstitels aufgrund eines Europäischen Vollstreckungstitels für eine unbestrittene Forderung ist an das nach festem Wohnsitz des Schuldners, seines Geschäftssitzes oder dem Ort, an dem die Vollstreckung betrieben wird, zuständige Landgericht zu richten. Der Antrag wird an die andere Partei zur Antwort nicht zugestellt. Nach entsprechender Überprüfung seitens des Gerichts, erlässt es eine Anordnung womit die beantragte Ausstellung eines Vollstreckungstitels erteilt oder verweigert wird.
Die erstinstanzliche Verordnung des Landgerichts kann vor dem Berufungsgericht Sofia binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung angefochten werden, indem diese Frist für den Antragsteller ab dem Zustellungstag und für die Gegenpartei – ab dem Zustellungstag der Aufforderung des Gerichtsvollziehers zur freiwilligen Leistung - läuft.
Die Anfechtung der Verordnung, womit der Antrag bestätigt worden ist, hebt die Vollstreckung nicht auf.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts Sofia kann vor dem Obersten Revisionsgericht angefochten werden.
Nach der Ausstellung des Vollstreckungstitels kann der Gläubiger Schritte für eine Zwangsvollstreckung aufgrund des vom privaten oder staatlichen Gerichtsvollzieher eingeleiteten Verfahrens einleiten. In Verbindung mit dem Vollstreckungsverfahren finden die Bestimmungen der ZPO (Fünfter Teil) Anwendung.
[1] In diesem Artikel sind unter „Mitgliedstaat“ alle EU-Mitgliedstaaten ohne Dänemark zu verstehen.
[2] z. B. die Schuldanerkenntnis bei einem Notar in der Bundesrepublik Deutschland.
[3] Hier zählen die Unterhaltsvereinbarungen, die mit den schwedischen oder finnischen Ausschüsse für soziale Angelegenheiten geschlossen oder von ihnen bestätigt worden sind.