Als Mitgliedstaat der Europäischen Union sind die Verordnungen verbindlich für Bulgarien und werden unmittelbar angewendet. Die am 4. Juli 2012 vom Europäischen Parlament und vom Rat verabschiedete Verordnung Nr. 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses wird ab dem 17. August 2015 im Hinblick auf Erbschaft im Falle des Todes von Personen, verstorben am 17. August 2015 und danach (Art. 84 der Verordnung) angewendet.
Die Verordnung bezweckt Behebung der Hindernisse für den freien Verkehr von Personen, denen die Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug derzeit noch Schwierigkeiten bereitet. In einem europäischen Rechtsraum muss es den Bürgern möglich sein, ihren Nachlass im Voraus zu regeln. Das gilt auch für Bulgarien. Die Rechte der Erben und Vermächtnisnehmer sowie der anderen Personen, die dem Erblasser nahestehen und der Nachlassgläubiger müssen effektiv gewahrt werden (P. 7 der Verordnung Nr. 650/2012). Um diese Ziele zu erreichen, muss diese Verordnung die Bestimmungen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung - oder gegebenenfalls die Annahme-, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen, öffentlichen Urkunden und gerichtlichen Vergleichen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses zusammenfassen. Der Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich auf alle zivilrechtlichen Aspekte der Rechtsnachfolge von Todes wegen erstrecken, und zwar auf jede Form des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten von Todes wegen, sei es im Wege der gewillkürten Erbfolge durch eine Verfügung von Todes wegen oder im Wege der gesetzlichen Erbfolge, wenn ein Testament fehlt. Die Steuersachen bei Erbfolge sind vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen.
Die Grundsätze, vorgesehen in Verordnung Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates sind:
I. Anzuwendendes Recht
Dem anzuwendenden Recht unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen und insbesondere:
а) die Gründe für den Eintritt des Erbfalls sowie dessen Zeitpunkt und Ort;
b) die Berufung der Berechtigten, die Bestimmung ihrer jeweiligen Anteile und etwaiger ihnen vom Erblasser auferlegter Pflichten sowie die Bestimmung sonstiger Rechte an dem Nachlass, einschließlich der Nachlassansprüche des überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner;
c) die Erbfähigkeit;
d) die Enterbung und die Erbunwürdigkeit;
e) der Übergang der zum Nachlass gehörenden Vermögenswerte, Rechte und Pflichten auf die Erben und gegebenenfalls die Vermächtnisnehmer, einschließlich der Bedingungen für die Annahme oder die Ausschlagung der Erbschaft oder eines Vermächtnisses und deren Wirkungen;
f) die Rechte der Erben, Testamentsvollstrecker und anderer Nachlassverwalter, insbesondere im Hinblick auf die Veräußerung von Vermögen und die Befriedigung der Gläubiger,
unbeschadet der Befugnisse nach Artikel 29 Absätze 2 und 3;
g) die Haftung für die Nachlassverbindlichkeiten;
h) der verfügbare Teil des Nachlasses, die Pflichtteile und andere Beschränkungen der Testierfreiheit sowie etwaige Ansprüche von Personen, die dem Erblasser nahe stehen, gegen den Nachlass oder gegen den Erben;
i) die Ausgleichung und Anrechnung unentgeltlicher Zuwendungen bei der Bestimmung der Anteile der einzelnen Berechtigten und;
j) die Teilung des Nachlasses.
1. Anzuwendendes Recht nach gewöhnlichem Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes
Die Rechtsnachfolge von Todes wegen unterliegt dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 21, Absatz 1). Diese Änderung ist spürbar in der deutschen Rechtsordnung zu beobachten, denn bislang war gemäß dem deutschen EGBGB (EGBGB, 4. Abschnitt – Erbrecht, Artikel 25 Abs. 1) das anzuwendende Recht bei Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht jenes Staates, zu dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes gehört hat, d.h. dessen Staatsangehöriger er ist. Das bulgarische Kodex für Internationales Privatrecht (abgekürzt „BKIP“) steht ganz nah der neuen Bestimmung in der Verordnung und lautet wie folgt: "Die Rechtsnachfolge von Todes wegen bei beweglichen Sachen wird vom Recht des Staates geregelt, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Die Rechtsnachfolge von Todes wegen bei unbeweglichen Sachen wird vom Recht des Staates geregelt, in dem sich die Sachen befinden. Der Erblasser kann wählen, dass die Rechtsnachfolge von Todes für sein Vermögen eine gesamte Regelung vom Recht des Staates findet, dessen Staatsangehöriger er zum Zeitpunkt der Wahl war (Art. 89 BKIP).
A. Betreffend Definieren des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt“
Der gewöhnliche Aufenthalt ist in Bulgarien dann, wenn eine bestimmte Person in Republik Bulgarien länger als 185 Tage im jeden Kalenderjahr lebt.
Die Europäische Kommission hat einen praktischen Leitfaden mit Kriterien für gewöhnlichen Aufenthalt veröffentlicht, für Unterstützung der Mitgliedstaaten bei Umsetzung der EU-Vorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherheit für europäische Bürger, die ihren Lebensmittelpunkt in einen anderen Mitgliedstaat verlegt haben. Im Leitfaden werden die spezifischen Kriterien festgelegt, die zur Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts einer bestimmten Person zu berücksichtigen sind, wie z.B.:
- familiäre Verhältnisse und familiäre Bindungen der Person;
- Dauer und Kontinuität des Aufenthalts im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats;
- Art und Merkmale der Erwerbstätigkeit (insbesondere der Ort, an dem eine solche Tätigkeit in der Regel ausgeübt wird, die Dauerhaftigkeit der Tätigkeit und die Dauer des Arbeitsvertrags);
- Ausübung einer nicht bezahlten Tätigkeit;
- im Falle von Studierenden ihre Einkommensquelle;
- Wohnsituation, insbesondere deren dauerhafter Charakter;
- Mitgliedstaat, der als der steuerliche Wohnsitz der Person gilt;
- Gründe für den Wohnortwechsel;
- Wille der Person, wie er sich aus sämtlichen Umständen erkennen lässt, belegt durch tatsachengestützte Nachweise.
Andere Fakten können ebenfalls berücksichtigt werden, soweit sie relevant sind.
Bei Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts sollte die mit der Erbsache befasste Behörde eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod
und im Zeitpunkt seines Todes vornehmen und dabei alle relevanten Tatsachen berücksichtigen, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Der so bestimmte gewöhnliche Aufenthalt sollte unter Berücksichtigung der spezifischen Ziele von Verordnung Nr. 650/2012 eine besonders enge und feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennen lassen (Absatz 23 vom Präambel der Verordnung Nr. 650/2012).
In einigen Fällen kann es sich als komplex erweisen, den Ort zu bestimmen, an dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn sich der Erblasser aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen - unter Umständen auch für längere Zeit - in einen anderen Staat begeben hat, um dort zu arbeiten, aber eine enge und feste Bindung zu seinem Herkunftsstaat aufrechterhalten hat. In diesem Fall könnte - entsprechend den jeweiligen Umständen - davon ausgegangen werden, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt weiterhin in seinem Herkunftsstaat hat,
in dem sich in familiärer und sozialer Hinsicht sein Lebensmittelpunkt befand. Weitere komplexe Fälle können sich ergeben, wenn der Erblasser abwechselnd in mehreren Staaten gelebt hat oder auch von Staat zu Staat gereist ist, ohne sich in einem Staat für längere Zeit niederzulassen. Ist der Erblasser ein Staatsangehöriger eines dieser Staaten oder hatte er alle seine wesentlichen Vermögensgegenstände in einem dieser Staaten, so könnte seine Staatsangehörigkeit oder der Ort, an dem diese Vermögensgegenstände sich befinden, ein besonderer Faktor bei der Gesamtbeurteilung aller tatsächlichen Umstände sein (Absatz 24 vom Präambel der Verordnung Nr. 650/2012).
2. Prinzip der engen Verbindung
Die Verordnung sieht eine Ausnahme von der Regel für das anzuwendende Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Beim Vorhandensein von Umständen, dass der Erblasser eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem Staat nach seinem gewöhnlichen Aufenthalt hatte, sieht Art. 21, Absatz 2 der Verordnung vor, dass das Recht dieses anderen Staates anzuwenden ist.
Gemäß Absatz 25 vom Präambel kann in Bezug auf die Bestimmung des auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Rechts die mit der Erbsache befasste Behörde in Ausnahmefällen - in denen der Erblasser beispielsweise erst kurz vor seinem Tod in den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts umgezogen ist und sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass er eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat hatte - zu dem Schluss gelangen, dass die Rechtsnachfolge von Todes wegen nicht dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers unterliegt, sondern dem Recht des Staates, zu dem der Erblasser offensichtlich eine engere Verbindung hatte.
Die offensichtlich engste Verbindung sollte jedoch nicht als subsidiärer Anknüpfungspunkt gebraucht werden, wenn sich die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes als schwierig erweist.
3. Rechtswahl
Die Rechtswahl für die Rechtsnachfolge von Todes ist bis auf die Staatsangehörigkeit der Person eingeschränkt, die die Wahl trifft.
Art. 22, Absatz 1 sieht die Möglichkeit vor, dass die Person für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen kann, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder zum Zeitpunkt ihres Todes angehört. Jede Person, die mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt, kann das Recht eines der Staaten wählen, denen sie im Zeitpunkt der
Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört. Die Rechtswahl muss ausdrücklich in einer Erklärung in Form einer Verfügung von Todes wegen erfolgen (Testament) oder sich aus den Bestimmungen einer solchen Verfügung ergeben.
Die Änderung oder die Aufhebung der Rechtswahl müssen entsprechend den Anforderungen an die Form bei Änderung oder Aufhebung einer Verfügung von Todes wegen über ein Vermögen erfolgen.
II. Zuständigkeit
Nach Maßgabe von Art. 4 der Verordnung sind für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Die Gerichte eines Mitgliedstaats, dessen Recht der Erblasser gewählt hat, sind für die Entscheidungen in einer Erbsache zuständig, wenn:
a) sich ein zuvor angerufenes Gericht nach Artikel 6 der Verordnung in derselben Sache für unzuständig erklärt hat;
b) die Verfahrensparteien nach Artikel 5 die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte dieses Mitgliedstaats vereinbart haben (Gerichtsstandsvereinbarung); oder
c) die Verfahrensparteien die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ausdrücklich anerkannt haben.
Es ist auch die sog. Subsidiäre (Art. 10) in Fällen vorgesehen, wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt seines Todes nicht in einem Mitgliedstaat hatte. In diesem Fall sind die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem sich Nachlassvermögen befindet, für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass zuständig, wenn:
a) der Erblasser die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats im Zeitpunkt seines Todes besaß, oder, wenn dies nicht der Fall ist,
b) der Erblasser seinen vorhergehenden gewöhnlichen Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat hatte, sofern die Änderung dieses gewöhnlichen Aufenthalts zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts nicht länger als fünf Jahre zurückliegt.
Ist im Mitgliedsstaat kein Gericht vorhanden, das entsprechend den vorstehend dargelegten Bedingungen zuständig ist, sind die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem sich das Nachlassvermögen befindet, trotzdem für Entscheidungen betreffend dieses Nachlassvermögen zuständig.
Zusätzliche Zuständigkeit bei Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft
Eingeführt wurde zusätzliche Möglichkeit für jede Person, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht vor einem Gericht eine Erklärung über die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft, eines Vermächtnisses oder eines Pflichtteils oder eine Erklärung zur Begrenzung der Haftung der betreffenden Person für die Nachlassverbindlichkeiten abgeben kann. So sind gemäß Art. 13 außer dem gemäß dieser Verordnung für die Rechtsnachfolge von Todes wegen zuständigen Gericht die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, für die Entgegennahme solcher Erklärungen zuständig, wenn diese Erklärungen nach dem Recht dieses Mitgliedsstaats vor einem Gericht abgegeben werden können.
Im nächsten Artikel erklären wir ausführlich das Verfahren auf Erteilung eines Europäisches Nachlasszeugnisses in Bulgarien und dessen Rechtsfolgen.