Uns werden immer häufiger telefonisch die Fragen gestellt: „Wie kann ich eine A1-Bescheinigung bekommen? Welche Unterlagen muss ich dafür vorlegen? Warum hat die Nationale Einnahmenagentur (NEA) meinen Antrag auf die A1-Bescheinigung abgelehnt?“ usw. Leider sind die für die Öffentlichkeit zugängige Informationen zu diesen Fragen, einschließlich seitens der NEA, häufig widersprüchlich.
Laut dem Recht der Europäischen Union haben Staatsangehörige eines Mitgliedstaats das Recht auf Freizügigkeit als Arbeitnehmer und es steht ihnen demnach zu, in einem anderen EU-Land zu arbeiten, ohne dass eine Arbeitserlaubnis erforderlich ist.
Mit dem Ziel, dieses Recht zu garantieren, sind die Sozialversicherungssysteme von den Mitgliedstaaten gemäß Verordnung Nr. 1408/71 des Rates und Verordnung 574/72 (über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/72) koordiniert. Ab Mai 2010 sind neue Verordnungen im Bereich der sozialen Sicherheit in Kraft getreten, nämlich die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004.
Nach dem Grundprinzip der neuen Verordnungen bestätigt, dass eine Person, die eine Tätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger in einem Mitgliedstaat ausübt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegt. Die Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt, dass eine Person den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats, in welchem die Sozialversicherungsbeiträge fällig sind, unterliegt, auch wenn diese Versicherungsbeträge für Aktivitäten und Erträge aus anderen Mitgliedstaaten fällig geworden sind. Sonderregeln in Bezug auf Erwerbstätige und Selbständige werden in Titel II der Verordnung eingeführt.
Diese Regeln sehen, dass die entsandten Personen den Rechtsvorschriften des Staates unterliegen, in welchem der Arbeitgeber einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit ausübt, vor. Insbesondere Art. 12 (1) der Verordnung (EG) 883/2004 verdeutlicht, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat für seinen gewöhnlich dort tätigen Arbeitgeber einer Beschäftigung nachgeht und nun von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um an diesem Ort eine Arbeit für ihn auszuführen, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats unterliegt, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit vierundzwanzig Monate nicht überschreitet und diese Person nicht eine andere entsandte Person ablöst. Der Hauptzweck der mit der Verordnung eingeführten Grundsätze besteht in der Vereinfachung der Freizügigkeit der Berufstätigen und der freien Dienstleistungserbringung innerhalb der EU durch das Vermeiden administrativen Aufwands, der den Versicherten, den Arbeitgeber und die Behörden belasten könnte, sofern für die Dauer der Zeitarbeit die Rechtsvorschriften des aufnehmenden Mitgliedstaates Anwendung finden würden.
Auslegung Nr. 20-15-103 vom 11. März 2011 über die Erteilung der A1-Bescheinigung für die Entsendung von Arbeitnehmern in Deutschland von der NEA erläutert die Voraussetzungen für die Anwendung der Rechtsvorschriften des entsendenden Mitgliedstaates gegenüber den Zeitarbeitnehmern in einem anderen Mitgliedstaat. Die Interpretation sieht folgenden zwingenden Voraussetzungen vor:
- Der entsandte Arbeitnehmer muss unmittelbar vor Beginn seiner Beschäftigung bereits den Rechtsvorschriften des entsendenden Mitgliedstaats aufgrund einer für den ihm entsendenden Arbeitgeber ausgeübten Erwerbstätigkeit
- Der entsendende Arbeitgeber muss im Entsendestaat gewöhnlich tätig sein;
Zwischen dem entsendenden Arbeitgeber und dem entsandten Arbeitnehmer muss eine arbeitsrechtliche Bindung bestehen.
- Die voraussichtliche Dauer dieser Tätigkeit darf 24 Monate nicht überschreiten;
- Die Entsendung des Arbeitnehmers darf nicht zum Zweck des Ersetzens eines anderen erfolgen.
- Es müssen mindestens zwei Monate nach Ende des vorangehenden Entsendezeitraums abgelaufen sein.
Die zweite Voraussetzung der Auslegung Nr. 20-15-103 der NEA stellt klar, dass für die Feststellung, ob der Arbeitgeber im Entsendestaat gewöhnlich tätig ist, bestimmte Kriterien anzuwenden sind.
Zu diesen Kriterien zählen: der Ort, an dem das entsendende Unternehmen seinen Sitz und seine Verwaltung hat; die Anzahl der im Mitgliedstaat Angestellten (ausschließlich Verwaltungspersonal), der Ort, an dem de entsandten Arbeitnehmer eingestellt werden und das Recht, dem sie unterliegen; der Ort, an dem die Mehrheit der Verträge mit den Kunden geschlossen wird; der während der vorangehenden 12 Monate im Entsendestaat und im Beschäftigungsstaat vom entsendenden Unternehmen erzielte Umsatz; die Zahl der im Entsendestaat und im Beschäftigungsstaat geschlossenen Verträge; die Dauer der Niederlassung eines Unternehmens im Entsendestaat.
In Bezug auf den auf dem Gebiet des Mitgliedstaats des entsendenden Unternehmens erwähnten erzielten Umsatz gilt, dass sofern kein solcher erzielt worden ist, der Ort der gewöhnlichen Tätigkeit innerhalb des Entsendestaats nicht in Betracht kommen kann.
Andererseits fügt die Erläuterung der NEA hinzu, dass ein im Entsendestaat für die letzten vorangehenden 12 Monaten erzielter Umsatz in Höhe von 25 % vom Gesamtumsatz ein hinreichender Anhaltspunkt für die Festlegung des Entsendestaats als der Ort der gewöhnlichen Tätigkeit des Unternehmens sei.
Gemäß Art. 14 (10) der Verordnung Nr. 987/2009 müssen die betroffenen Träger für die Festlegung der anzuwendenden Rechtsvorschriften die für die folgenden 12 Kalendermonate angenommene Situation berücksichtigen. Laut Art. 12 (1) der Verordnung Nr. 883/2004 ist die Ausstellung von Formular A1 in der Steuer - und Versicherungsprozessordnung Bulgariens (SVPO) reguliert. Gemäß Art. 89 der SVPO wird das Dokument auf Antrag der betreffenden Person ausgestellt. Der Antrag kann auch durch einen lizenzierten oder eingetragenen Postbetreiber auf elektronischem Wege der zuständigen Gebietsdirektion vorgelegt oder an diese versandt werden. Der Antrag ist in einer zulässigen Form (Vordruck Nr. ОКд-236) einzureichen. Dem Antrag sind die für die Ausstellung des Dokuments erforderlichen Nachweise beizufügen.
- Ablichtung des Personalausweises des entsandten Arbeitnehmers;
- Ablichtung der Zusatzvereinbarung. Nach Maßgabe der neuen Verordnung über die Bedingungen und Bestimmungen für die Entsendung von Arbeitnehmern und Angestellten zur Erbringung von Dienstleistungen (veröff. im AB 2 vom 6. Januar 2017) erfolgt die Entsendung durch schriftliche Vereinbarung über die Änderung des Arbeitsvertrags für die Dauer der Entsendung;
- Ablichtung des Arbeitsvertrags mit dem Arbeitnehmer/Angestellten sowie sämtlicher Zusatzvereinbarungen.
- Ablichtung des Vertrags mit dem ausländischen Unternehmen, in das der Arbeitnehmer entsendet wird sowie beglaubigte Übersetzung dieses Vertrags;
- Bericht über den in den letzten 12 Monaten erzielten Umsatz.
- Für die Tätigkeit des Unternehmens kann bei Bedarf auch die Vorlage einer Summen- und Saldenliste gefordert werden.
Aus dem Verfahren können zwei Ergebnisse folgen: die Erteilung einer Bescheinigung A1 zum anwendbaren Recht oder eine begründete Ablehnung. Sollte das Verfahren zur Antragseinreichung eingehalten worden sein, wird nach Art. 90 (2) SVPO die Bescheinigung innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Antragstellung erteilt, sofern keine kürzere Frist vorgesehen ist oder der Antrag nicht von einer anderen Bezirksagentur weitergeleitet worden ist, indem im letzteren Fall diese Frist auf 45 Tage nach Antragstellung verlängert wird.
Sollte nach der Prüfung über das Vorliegen einer Erteilungsgrundlage für die A1 Bescheinigung festgestellt werden, dass die zwingenden Voraussetzungen nicht erfüllt sind, kann die Einnahmenbehörde ihre Entscheidung durch eine begründete Ablehnung mitteilen – nach Art. 91 ist die Ablehnung der Erteilung der beantragten Bescheinigung innerhalb einer Frist von 7 Tagen nach ihrer Ausstellung mitzuteilen und sollte eine Mitteilung ausbleiben, gilt das als stillschweigende Ablehnung. Nach Art. 92 - 97 des Gesetzes ist administrativer und gerichtlicher Rechtsbehelf der Ablehnung möglich, wobei eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts endgültig ist.
Die Bescheinigung kann von der Bezirksagentur, in der der Antrag gestellt worden ist, entgegen genommen oder an einer genauen Anschrift zugestellt werden, sofern das vom Antragsteller angegeben worden ist. Sie soll in lateinischer Schrift ausgefüllt sein und kann auf Anfrage auch in Bulgarisch ausgestellt werden. Die erteilte Bescheinigung bestätigt, dass für die Dauer des dort angegebenen Zeitraums von 24 Monaten, der in einem anderen Mitgliedstaat entsandte Arbeitnehmer weiterhin dem bulgarischen Recht unterliegt.