In der außerordentlichen 28. Ausgabe des bulgarischen Amtsblattes vom 24.03.2020 wurde das am 20. März 2020 und am 23.03.2020 erneut verabschiedete Gesetz über die Maßnahmen und Handlungen im Ausnahmezustand, der durch den Beschluss des bulgarischen Parlaments vom 13.3.2020 ausgerufen worden ist, veröffentlicht.
Ein Teil der getroffenen Änderungen richten sich an die Ergreifung von Notmaßnahmen und Handlungen zur Unterstützung der kleinen und mittleren Unternehmen, indem für die Arbeitgeber mehrere Vergünstigungen in dieser ungewöhnlichen und außerordentlichen Situation geplant sind.
I. Änderungen in den arbeitsrechtlichen Beziehungen und mögliche Handlungsoptionen
1.1. Vergabe von Heimarbeit oder Fernarbeit oder das s. g. Home-Office
Nach Maßgabe der aktuell geltenden Regelung stellt nach Art. 107z des Arbeitsgesetzbuches (AGB) die Fernarbeit eine solche Form der Arbeitsorganisation dar, die außerhalb der Räumlichkeiten des Arbeitgebers ausgetragen wird, dabei kommen Informationstechnologien zum Einsatz und sie ist des freiwilligen Charakters, indem dies im einzelnen Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers oder Angestellten festzuhalten ist.
Mit der neuen unter Art. 120b AGB eingeführten Vorschrift „Vergabe von Heimarbeit und Fernarbeit bei ausgerufenem Ausnahmezustand“ wird den Arbeitgebern und den Anstellungsorgane die Möglichkeit eingeräumt, ihren Arbeitnehmern und Angestellten ohne ihr Einverständnis, dem Charakter der Arbeit nach, Heim- oder Fernarbeit aufzuerlegen, soweit das möglich ist. In diesem Fall wird lediglich der Arbeitsort geändert und die restlichen Bestimmungen des Arbeitsvertrags bleiben hiervon unberührt. Die Änderung erfolgt aufgrund einer Anordnung des Arbeitgebers, worin die für die Fernarbeit typischen Merkmale und die dafür erforderliche Ausstattung und Ausführungsbedingungen festzuhalten sind.
1.2. Einführung von Teilzeitarbeit
Gemäß der aktuell geltenden Rechtslage kann nach Maßgabe des Art. 138a AGB, worin die Möglichkeit zur einseitigen Einführung von Teilzeitarbeit seitens des Arbeitgebers geregelt ist, die Teilzeitbeschäftigung unter folgenden Voraussetzungen eingeführt werden:
- bei Arbeitsausfall;
- für eine Höchstdauer von bis zu 3 Monaten;
- Vorankündigung der Einführung der Teilzeitarbeit an die Arbeitnehmer und Angestellten, indem Maßnahmen zur Erleichterung ihres Zugangs zum Arbeitsort angesichts der neuen Arbeitszeiten zu treffen sind.
Mit der neuen Vorschrift des Art. 138a Abs. 2 AGB wird die Einführung von Teilzeitarbeit für Arbeitnehmer und Angestellte, die Vollzeitbeschäftigte sind, für das gesamte Unternehmen oder für einen Teil davon für die Dauer des Ausnahmezustands oder für einen Teil davon ermöglicht. Das Arbeitsentgelt wird dadurch proportional verkürzt.
1.3. Inanspruchnahme des Erholungsurlaubs
Die aktuelle Rechtsvorschrift des Art. 173 Abs. 1 AGB gibt vor, dass der Erholungsurlaub mit der schriftlichen Zustimmung des Arbeitgebers in Anspruch genommen werden darf und der Arbeitgeber gem. Abs. 4 das Recht hat, dem Arbeitnehmer oder Angestellten den Erholungsurlaub ohne sein Einverständnis anzuordnen, und zwar bei einem Stillstand von mehr als 5 Arbeitstagen, bei gleichzeitiger Inanspruchnahme des Erholungsurlaubs von allen Arbeitnehmern und Angestellten und, wenn der Arbeitnehmer oder Angestellte nach einer Aufforderung seitens des Arbeitgebers den ihm zustehenden Erholungsurlaub bis zum Kalenderjahr, auf das er sich bezieht, nicht beantragt hat.
Mit dem neuen Art. 173a AGB wurde vorgesehen, dass sofern der Betrieb des Unternehmens aufgrund einer Anordnung des Arbeitgebers oder einer Behörde wegen dem ausgesprochenen Ausnahmezustand eingestellt worden ist, der Arbeitgeber berechtigt ist, dem Arbeitnehmer oder Angestellten die Inanspruchnahme des Erholungsurlaubs ohne seine Zustimmung anzuordnen, einschließlich an diejenigen, die noch keine Betriebszugehörigkeit von 8 Monaten aufweisen.
Nach Abs. 2 des neu verabschiedeten Artikels 173 AGB ist der Arbeitgeber bei einem ausgerufenen Ausnahmezustand verpflichtet, die Inanspruchnahme des Erholungsurlaubs oder eines unbezahlten Urlaubs, der von folgenden Personen beantragt worden ist, zu genehmigen, und zwar von:
- einer schwangeren Arbeitnehmerin oder Angestellten sowie von einer Arbeitnehmerin und Angestellten, die in einer fortgeschrittenen Behandlungsphase der In-Vitro-Fertilisation ist;
- einer Mutter oder Adoptivmutter von Kindern im Alter bis 12 Jahren oder eines behinderten Kindes, unabhängig seines Alters;
- einem Arbeitnehmer oder Angestellten, der alleinerziehender Vater oder Adoptivvater eines Kindes im Alter bis 12 Jahren oder eines behinderten Kindes, unabhängig seines Alters, ist;
- einem Arbeitnehmer oder Angestellten, der unter 18 Jahren alt ist;
- einem Arbeitnehmer oder Angestellten mit dauerhaft verminderter Erwerbsfähigkeit ab 50 v. H.;
- einem nach Art. 333 Abs. 1 Nr. 2 (berufliche Wiedereingliederung eines Arbeitnehmers oder Angestellten) und Nr. 3 (Arbeitnehmer oder Angestellter, der an einer in der Anordnung des Ministers für Gesundheit erlassenen Verordnung aufgeführten Krankheit leidet) AGB geschützten Arbeitnehmer oder Angestellten.
Die Arbeitgeber und Anstellungsorgane können dem Arbeitnehmer oder Angestellten bis zur Hälfte des Erholungsurlaubs auch ohne seine Zustimmung anordnen. Die Zeiten der Inanspruchnahme des oben genannten Urlaubs werden den Beitrags-, bzw. Betriebszugehörigkeitszeiten zugerechnet.
1.4. Mehrarbeit
Nach Maßgabe der aktuell geltenden Vorschrift des Art. 107e AGB dürfen den Arbeitnehmern und Angestellten, die Heimarbeit verrichten, keine Gleitzeiten und Überstunden auferlegt werden.
Nach Art. 8 des neu verabschiedeten Gesetzes über die Maßnahmen und Handlungen im Ausnahmezustand finden die Einschränkungen für die Überstunden und ihre Dauer für Arbeitnehmer und Angestellten in Teilzeitbeschäftigung, die medizinische Versorgung oder unterstützende Tätigkeiten dazu leisten sowie für Beamte, die die medizinische Versorgung unterstützen und es sich aus ihren Stellenbeschreibungen oder einer Anordnung ihres Vorgesetzten ergibt, keine Anwendung.
1.5. Option zum Betriebsstillstand
Nach Maßgabe der neuen Vorschrift des Art. 120v AGB „Betriebsstillstand im ausgerufenen Ausnahmezustand“ wird dem Arbeitgeber die Einstellung der Arbeit des gesamten Betriebs, eines Teils davon oder von einzelnen Arbeitnehmern und Angestellten für die gesamte Dauer oder eines Teils davon oder bis zur Aufhebung des Ausnahmezustands aufgrund einer hierzu erteilten Anordnung ermöglicht.
Abs. 2 des neuen Artikels legt fest, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Arbeitnehmern und Angestellten den Zugang zu den Arbeitsplätzen für den in der Anordnung genannten Zeitraum zu verweigern, wenn die Arbeit des Betriebs oder eines Teils davon durch eine behördliche Anordnung bei einem ausgerufenen Ausnahmezustand eingestellt worden ist.
Für die Dauer des Betriebsstillstands hat der Arbeitnehmer oder Angestellte in diesem Fall nach Maßgabe des neuen Art. 267a AGB den Anspruch auf sein Bruttoentgelt.
1.6. Kündigungsgründe für Arbeitsverhältnisse im Hinblick des aktuellen Ausnahmezustands
Sollte der Arbeitgeber von den oben aufgeführten Optionen keinen Gebrauch machen können, kann er das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer oder Angestellten kündigen, indem dies im Ausnahmezustand wie folgt zu begründen ist:
- Betriebsstillstand für einen längeren Zeitraum als 15 Arbeitstagen im Sinne des Art. 328 Abs. 1 Nr. 4 AGB
- Reduziertes Arbeitsvolumen für das gesamte Unternehmen – Art. 328 Abs. 1 Nr. 3 AGB – hier sollte eine Relation zwischen dem Ereignis, bzw. zwischen der Pandemie und dem gesamten reduzierten Arbeitsvolumen für den gesamten Betrieb des Arbeitgebers gegeben sein;
- bezugnehmend auf den neuen Art. 120v über den Betriebsstillstand.
II. Möglichkeiten zur Direktförderung der Arbeitgeber nach Maßgabe des Sozialversicherungsgesetzbuchs
Unter Paragraph 6 der Übergangs- und Schlussbestimmungen des neu verabschiedeten Gesetzes über die Maßnahmen und Handlungen im Ausnahmezustand wurde vorgesehen, dass das Nationale Versicherungsinstitut den im Erlass des Ministerrats genannten Arbeitgebern 60 % vom beitragsrelevanten Einkommen für Januar 2020 der bei diesen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmern für bis zu 3 Monaten leisten wird. Diese Mittel gehen auf Rechnung des Fonds "Arbeitslosigkeit" der gesetzlichen sozialen Versicherung. Sie werden dem entsprechenden Arbeitgeber innerhalb von 5 Arbeitstagen aufgrund der von der Agentur für Arbeit schriftlich bekanntgegebenen Daten überwiesen werden.
Sollte der Arbeitgeber den Arbeitnehmern und Angestellten nicht das volle Arbeitsentgelt, wofür er die oben genannte Beihilfe bezogen hat, leisten, hat er diese Mittel zu erstatten.
III. Änderung der Fristen zu Steuerzwecken
- die Frist für die Abgabe der Steuererklärung seitens der natürlichen Personen nach Art. 50 vom Gesetz über die Einkommensteuer der natürlichen Personen wird vom 30. April bis zum 30. Juni verlängert. Das gilt jedoch nur für Einzelkaufläute oder Landwirte. Selbstständige müssen weiterhin ihre Steuererklärung nach der bisher geltenden Frist abgeben, nämlich bis zum 30. April.
- die Frist für die Inanspruchnahme der Vergünstigung von 5 % für die frühzeitige Abgabe der Steuererklärung wurde bis zum 31. Mai 2020 verlängert. Bislang galt der Stichtag auf den 31. März 2020.
- die Frist für die Abgabe der Steuerklärung nach dem Körperschaftsteuergesetz wurde bis zum 30. Juni verlängert, indem die zu leistende Körperschaftsteuer ebenfalls bis zum 30. Juni 2020 abzuführen ist.
- die Frist für die Abgabe der Jahresabschlüsse wurde vom 30. Juni auf den 30. September verschoben.
IV. Hemmung der Fristen nach der ZPO bis zur Aufhebung des Ausnahmezustands
- die Verfahrensfristen in anhängigen Gerichts-, Schieds- und Vollstreckungsverfahren werden gehemmt, ausgenommen der Fristen für Strafverfahren;
- die Verjährungs- und sonstigen in Rechtsvorschriften festgelegten Fristen, mit deren Ablauf Rechte erlöschen oder aufgehoben werden oder Pflichten für Subjekte des Privatrechts begründet werden, ausgenommen der Fristen nach dem Strafgesetz und dem Gesetz über die Notare und Notartätigkeit;
- Fristen für die Ausführung von Anweisungen, die von einer Verwaltungsbehörde an Verfahrensparteien oder –beteiligten erteilt worden sind, ausgenommen der Verfahren nach dem Gesetz zur Verwendung der Mittel aus den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds;
- sämtliche bekanntgegebenen öffentlichen Versteigerungen und Besitzeinweisungen, die von staatlichen und privaten Gerichtsvollziehern bekannt gegeben worden sind, werden eingestellt;
- Es werden keine 1.) Kontopfändungen an natürlichen Personen und Krankenanstalten, 2.) Lohn- und Rentenpfändungen an Schuldnern, Sicherungsmaßnahmen an medizinischen Geräten und Ausstattung, 3.) Aufnahme von Vermögensverzeichnissen für Mobilien und Immobilien verhängt.
V. Handlungsmöglichkeiten hinsichtlich wirksamer Verträge
Nach Maßgabe des Art. 6 vom neu verabschiedeten Gesetz über die Maßnahmen und Handlungen im Ausnahmezustand sollen bis zur Aufhebung des Ausnahmezustands die Folgen für Zahlungsverzug für die Subjekte des Privatrechts, einschließlich Vertragsstrafen und Verzugszinsen, sowie die immaterielle Folgen wie sofortige Leistungspflicht, Vertragskündigung und Wegnahme von Gegenständen, nicht eintreten.
5.1. Möglichkeit sich auf s. g. „höhere Gewalt “
Nach Art. 306 des bulgarischen Handelsgesetzes ist die höhere Gewalt (Force majeure) ein plötzliches, unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis, dessen Folgen auch durch die äußerst zumutbare Sorgfalt nicht überwunden werden können. Die höhere Gewalt muss nach Abschluss des einzelnen Vertrags eingetreten sein und die Erfüllung der Vertragspflichten und Gegenleistung wird für dessen Dauer ausgesetzt.
Angesichts der aktuellen Lage kann angenommen werden, dass zurzeit eine höhere Gewalt vorliegt, da ein Ereignis eines außerordentlichen Charakters eingetreten ist und der entsprechende Kaufmann sich hinsichtlich der Nichterfüllung seiner Pflichten darauf berufen darf, da:
- die Coronavirus-Pandemie (Covid-19) eine „höhere Gewalt “ darstellt, die für das Leben und Gesundheit und/oder die Umwelt bedrohlich ist;
- der staatliche Erlass, womit der Ausnahmezustand ausgerufen worden ist – in diesem Fall ist das der Beschluss des Parlaments vom 13.03.2020 über das Ausrufen des Ausnahmezustands – ebenfalls ein unüberwindbares Ereignis darstellt. Gerade dadurch wird die Ausübung der Tätigkeit eines Großteils der kleinen und mittleren Unternehmen wie z. B. Restaurants, Bars, Gaststättenbetriebe, Vergnügungsparks, Sportzentren usw. eingestellt.
A.) Verträge deren Gegenstand eine Geldschuld ist
Die höhere Gewalt rechtfertigt und betrifft die Erfüllung von Geldschulden nicht.
Sollte z. B. eine natürliche/juristische Person einen Vertrag mit einer Bank geschlossen haben, kann sich das Subjekt auf die höhere Gewalt nicht berufen und dementsprechend die Leistungspflicht nicht verweigern, d. h. der Schuldner hat seine monatlichen Raten für eine/n aufgenommene/n Kredit/Hypothek zugunsten der Bank weiterhin zu leisten.
B.) Lieferverträge:
Sollte ein Lieferant aus einem Vertrag aufgrund der entstandenen Ereignisse die Belieferung eines Geschäfts (z. B. eines Lebensmittelgeschäfts) nicht nachkommen können, kann er sich auf die höhere Gewalt berufen, um von seiner Haftung bei Nichterfüllung entlastet zu werden. Dazu gibt es Verträge, die eine regelmäßige oder langfristige Leistung zu festgelegten Terminen, Zeiten und Fristen vorsehen und demzufolge bewirkt die Nichterfüllung den Fortfall des Interesses an der Vertragserfüllung. In diesem Sinne wäre die Kündigung vollkommen berechtigt.
C.) Mietverträge:
Angesichts der geltenden Rechtsvorschriften des Art. 228ff vom Gesetz über Schuldverhältnisse und Verträge fällt die Leistung des fälligen Mietpreises angesichts des aktuellen Sachverhalts nicht weg. Die einzige Möglichkeit zur Befreiung von dieser Pflicht wäre der Nachweis einer unzumutbaren Leistung aufgrund der eingetretenen höheren Gewalt. Z. B. ein Kaufmann hat einen Raum für einen Imbissbetrieb gemietet. Für diesen Fall findet das Verbot, das unter Nr. 1 der Anordnung Nr. RD-01-124/13.03.2020, nachträglich geändert durch Anordnung Nr. RD-01-143/20.03.2020, erlassen worden ist, Anwendung.
5.2. Möglichkeit sich auf das Rechtsinstitut der „Geschäftsunverträglichkeit“ im Sinne des Art. 307 HG zu berufen
Damit sich ein Kaufmann auf dieses Institut berufen kann, müssen solche soziale und wirtschaftliche Umstände vorliegen, die die Vertragsparteien nicht vorsehen konnten oder dazu nicht verpflichtet waren und die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Sorgfalt zuwiderläuft. In diesem Fall hat die Vertragspartei, die sich auf die für sie ungünstigen Umständen beruft, eine Klage beim zuständigen Gericht einzureichen, da das Vertragsverhältnis in diesem Zusammenhang nur durch einen Gerichtsbeschluss geändert oder aufgehoben werden kann. Selbstverständlich hat das Gericht jeden Einzelfall aufgrund des konkreten Sachverhalts zu entscheiden.