In Bulgarien wird ein Insolvenzverfahren über das Vermögen eines zahlungsunfähigen Kaufmanns eröffnet, sowie bei Zahlungsunfähigkeit, aber auch bei Überschuldung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien. Gemäß Art. 608 des bulgarischen Handelsgesetzes (HG) ist der Kaufmann dann zahlungsunfähig, wenn er nicht mehr in der Lage ist:
- eine fällige Zahlung aus einem oder hinsichtlich eines Handelsgeschäfts, einschließlich seiner Wirksamkeit, Erfüllung, Nichterfüllung, Kündigung, Nichtigkeitserklärung und Auflösung oder Folgen seiner Kündigung zu erfüllen;
- eine fällige öffentliche Verbindlichkeit gegenüber dem Staat und den Gemeinden, die in Verbindung mit seiner Geschäftstätigkeit steht, zu erfüllen;
- eine fällige privatrechtliche Forderung des Staats zu erfüllen.
Gemäß Art. 742 HG ist eine Gesellschaft überschuldet, sofern ihr Vermögen zur Tilgung ihrer Geldverbindlichkeiten nicht ausreicht.
Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgrund einer Überschuldung kann auch ein Mitglied des Geschäftsführung der Handelsgesellschaft sowie der Liquidator in einem Liquidationsverfahrens beantragen.
Das Insolvenzverfahren wird auf einen an das Gericht gestellten schriftlichen Antrag beim Vorliegen der oben beschriebenen Voraussetzungen beantragt.
Der zahlungsunfähige Schuldner ist binnen einer Frist von 30 Tagen verpflichtet, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen, indem der Antrag vom Schuldner, seinen Erben, vom Verwaltungsorgan oder Vertreter bzw. Liquidator der Handelsgesellschaft oder des persönlich haftenden Gesellschafters zu stellen ist.
Das Insolvenzverfahren bezweckt eine gerechte Befriedigung der Gläubiger und ist eine Möglichkeit zur Sanierung des Unternehmens des Schuldners. Die Insolvenz an sich stellt eine allumfassende gerichtliche Zwangsvollstreckung gegenüber den zahlungsunfähigen oder überschuldeten Kaufleuten dar. Ein Rechtsmittel für die Befriedigung der Gläubiger bei einem öffentlichen Insolvenzverfahren ist die Klage auf Auffüllung der Insolvenzmasse, womit die vom Schuldner vorgenommenen Rechtshandlungen geprüft werden. Dazu zählen auch die Klagen im Sinne des Art. 646 Abs. 2 HG und die Anfechtung gemäß Art. 647 HG, die in diesem Artikel näher betrachtet werden.
Neben den weiter unten behandelten Anfechtungsklagen sieht die Gesetzgebung eine Verteidigungsmöglichkeit in Verbindung mit den vom Schuldner getätigten Verrechnungen, indem Art. 645 Abs. 4 HG festlegt, dass in Bezug auf die Insolvenzgläubiger – ausgenommen der Teil, den der Gläubiger bei der Verteilung des veräußerten Vermögens erhalten würde, – der Abzug, den der Gemeinschuldner nach dem Initialdatum der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Überschuldung vorgenommen hat, jedoch nicht früher als ein Jahr vor Antragsstellung und zwar unabhängig davon, wann die beiden Gegenverbindlichkeiten entstanden sind, nichtig ist.
І. Anfechtungsklagen gemäß Art. 646 Abs. 2 HG
Aufgrund von Art. 646 Abs. 2 HG können folgende Handlungen und Rechtsgeschäfte, die vom Schuldner nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, bzw. der Überschuldung gegenüber den Insolvenzgläubigern getätigt wurden, für anfechtbar erklärt werden:
- Begleichung einer nicht fälligen Geldverbindlichkeit, ohne Rücksicht auf die Art und Weise der Begleichung, innerhalb einer Frist von einem Jahr vor Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Sinne des Art. 625 HG;
- Begründung einer Hypothek oder eines Pfands als Sicherheit einer seitens des Schuldners bis zu diesem Zeitpunkt ungesicherten Forderung gegen ihn innerhalb einer Frist von einem Jahr vor Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Sinne des Art. 625 HG;
- Begleichung einer fälligen Geldverbindlichkeit des Schuldners, ohne Rücksicht auf die Art der Erfüllung innerhalb einer Frist von 6 Monaten vor Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Sinne des Art. 625 HG.
Unter Art. 646 Abs. 7 HG ist der Schutz für redliche Dritte geregelt, indem die Unwirksamkeit die Rechte, die redliche Dritte vor Eintragung der Klageschrift gegen Entgelt erworben haben, nicht verletzt. Eingeführt wurde die anfechtbare Annahme, dass die Unredlichkeit bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, sofern der Dritte eine mit dem Schuldner oder mit der verhandelnden Partei verbundene Person ist.
In Verbindung mit der Kenntnis des Gläubigers regelt die Gesetzgebung unter Art. 646 Abs. 4 drei Annahmen. An erster Stelle wird die Kenntnis des Gläubigers vermutet, sofern er und der Schuldner verbundene Personen sind. Solche können Ehegatten, Verwandtschaft ersten Grades, in der Seitenlinie bis zum 4. Grad, bei Verschwägerung – bis zum 3. Grad - sein; die Gesellschafter; die Personen, bei welchen eine an der Geschäftsführung der anderen beteiligt ist; die sich gegenseitig kontrollierenden Personen oder unmittelbar von einem Dritten direkt oder indirekt kontrollierte Personen; die Personen, bei welchen eine der Handelsvertreter der anderen ist usw. (§ 1 der zusätzlichen Bestimmungen). Dieser Umstand ist zum Vollstreckungszeitpunkt abzuklären. Gemäß der Annahmen, die unter Art. 646 Abs. 4 Nr. 2 HG genannt sind, wird die Unredlichkeit des Gläubigers vermutet, sofern sie ihm bekannt waren oder er die objektive Möglichkeit hatte, diese Umstände zu erfahren, auf deren Grundlage der Schluss auf eine vorliegende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners gezogen werden konnte. Die Unredlichkeit ist in diesem Fall zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses und nicht der Geschäftsabwicklung zu bewerten.
Die Klagen gemäß Art. 646 Abs. 2 HG werden noch "Vorzugsklagen" genannt, da dadurch eine relative Unwirksamkeitserklärung der Handlungen und Geschäfte seitens des Schuldners bis zum Initialdatum der Zahlungsunfähigkeit, bzw. der Überschuldung gefordert wird, da einer der Gläubiger, der eine Vollstreckung oder Sicherheitsleistung erhält, ein Vorzugsrecht hat, d. h. er wird gegenüber den anderen Gläubigern vorzugsweise befriedigt.
A. Vorzugsweise Befriedigung einer Geldverbindlichkeit – Art. 646 Abs. 2 Nr. 1 und 3
Die Klagen beziehen sich auf Handlungen und Geschäfte, die vom Schuldner in dem s. g. verdächtigen Zeitraum erfüllt worden sind – das ist ein Zeitraum, der ab dem Zeitpunkt der Beantragung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückliegt. Je nach Fälligkeit der Forderung beträgt die Frist für die Erfüllung fälliger Forderungen 6 Monate und für die Erfüllung nicht fälliger Forderungen - 1 Jahr. Sollte der Gläubiger jedoch über die Zahlungsunfähigkeit, bzw. Überschuldung des Schuldners in Kenntnis gewesen sein, werden diese Fristen um 1 Jahr für die Erfüllung fälliger Forderungen und um 2 Jahre – für nicht fällige Forderungen – verlängert (Art 646 Abs. 3 HG).
B. Vorrangige Sicherheit
Gemäß Art. 646 Abs. 2 Nr. 2 können auch der begründete Pfand oder Hypothek zur Sicherung einer bislang ungesicherten Forderung des Schuldners für unwirksam erklärt werden. Es muss sich dabei um bestehende Verbindlichkeiten handeln, da sofern sie gleichzeitig oder nach der Begründung des Pfands/der Hypothek entstehen, sind sie aus dieser Klage auszuschließen. Die besicherten Verbindlichkeiten können im Gegensatz zu den Ansprüchen gem. Art. 636 Abs. 2 Nr. 1 und 3 sowohl finanzieller als auch materieller Natur sein. Der Zeitpunkt für die vorrangige Sicherheit wird zum Eintritt der sichernden Wirkung gegenüber Dritten bewertet, indem in diesem Fall die Frist für den redlichen Gläubiger ein Jahr beträgt und zwei Jahre für den unredlichen. Für die Unredlichkeit des Gläubigers finden die im vorangehenden Paragraph genannten Annahmen Anwendung.
Außerhalb der Reichweite der Klage gemäß Art. 646 Abs. 2 Nr. 2 bleiben dieser Pfand und die Hypothek, die vor oder mit der Darlehensvergabe an den Schuldner begründet worden sind; sofern sie eine andere dingliche Sicherheit, die aus diesem Anspruch ausgeschlossen ist, ersetzen und an letzter Stelle – sofern mit dem Pfand oder der Hypothek ein Darlehen besichert wird, das für den Erwerb des Gegenstands des Pfands oder der Hypothek zur Verfügung gestellt wurde. Die hier aufgeführten Ausnahmen sind für den Schutz der Rechte der Kreditinstitute vorgesehen.
II. Anfechtungsklagen
Außer in den laut Gesetz vorgesehenen Fällen, können folgende vom Gemeinschuldner vorgenommene Handlungen und Rechtsgeschäfte in Bezug auf die Insolvenzgläubiger für anfechtbar erklärt werden, wenn sie vom Gemeingläubiger innerhalb der unter Ziff. 1 – 6 genannten Fristen vor Antragsstellung nach Art. 625 vorgenommen worden sind:
- ein unentgeltliches Rechtsgeschäft mit Ausnahme einer üblichen Schenkung zugunsten einer mit dem Gemeinschuldner verbundenen Person für eine Frist von drei Jahren vor Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens;
- ein unentgeltliches Rechtsgeschäft für eine Frist von zwei Jahren vor Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens;
- ein Rechtsgeschäft gegen Entgelt, bei dem das Ausgegebene das Erhaltene wertmäßig bedeutend übersteigt, ausgeführt für eine Frist von zwei Jahren vor Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, aber nicht vor dem Datum der Zahlungsunfähigkeit, bzw. Überschuldung;
- Begründung von Hypothek, Pfand oder eine andere persönliche Sicherheitsleistung für fremde Verbindlichkeiten für eine Frist von einem Jahr vor Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, aber nicht vor dem Datum der Zahlungsunfähigkeit, bzw. Überschuldung;
- Begründung von Hypothek, Pfand oder eine andere persönliche Sicherheitsleistung zugunsten eines mit dem Gemeinschuldner verbundenen Gläubigers für eine Frist von zwei Jahren vor Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens;
- ein Rechtsgeschäft, das den Gläubigern schadet, deren Teil eine mit dem Gemeinschuldner verbundene Person ist, geschlossen für eine Frist von zwei Jahren vor Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.
Die Handlungen und Rechtsgeschäfte, die vom Schuldner für den Zeitraum zwischen Antragsstellung nach Art. 625 und dem Tag des Beschlusses zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind, können für anfechtbar erklärt werden.
Die unter Art. 647 HG festgelegten Anfechtungsklagen dienen zum Schutz der Interessen der Gläubiger in ihren Beziehungen mit dem Schuldner, indem sie den Beweis der Rechtswidrigkeit der Handlungen des Schuldners erleichtern sollen. Laut der bulgarischen Rechtslehre umfassen diese Klagen drei Gruppen von Rechtshandlungen:
- Rechtgeschäfte mit abgetretener Gleichwertigkeit - ein unentgeltliches Rechtsgeschäft mit Ausnahme der üblichen Schenkung zugunsten einer mit dem Gemeinschuldner verbundenen Person; ein Geschäft gegen Entgelt, bei dem das Gegebene das Erhaltene wertmäßig bedeutend übersteigt;
- persönliche und dingliche Sicherheiten für eine fremde Verbindlichkeit - Begründung von Hypothek, Pfand oder eine andere persönliche Sicherheitsleistung für fremde Verbindlichkeiten; Begründung von Hypothek, Pfand oder eine andere persönliche Sicherheitsleistung zugunsten eines mit dem Gemeinschuldner verbundenen Gläubigers;
- weitere Rechtsgeschäfte, die durch die Reduzierung der Insolvenzmasse den Gläubigern schadet – ein Rechtsgeschäft, das den Gläubigern schadet und die Partei eine mit dem Schuldner verbundene Person ist. Diese vom Handelsgesetz vorgesehene Möglichkeit steht in Verbindung mit der actio Pauliana, die unter Art. 135 vom bulgarischen Gesetz über Schuldverhältnisse und Verträge geregelt wird. Laut dieser Regelung können die Handlungen des Schuldners für relativ unwirksam erklärt werden, sofern der Schuldner bei ihrer Vollbringung über den Schaden der Beeinträchtigung in Kenntnis war. Sofern es sich um ein entgeltliches Rechtsgeschäft handelt, muss die Person, mit welcher der Schuldner Vereinbarungen getroffen hat, auch über den Schaden Bescheid gewusst haben, indem die Kenntnis vermutet wird, falls Schuldner und Gläubiger verbundene Personen sind.
ІІІ. Aktivlegitimation
Laut Art. 649 kann eine Klage nach Art. 645, 646 und 647 dieses Gesetztes und nach Art. 135 vom Gesetz über Schuldverhältnisse und Verträge (SVG), die mit dem Insolvenzverfahren verbunden ist, vom Insolvenzverwalter, und bei einer Tatenlosigkeit seinerseits – jeder Insolvenzgläubiger, und zwar innerhalb eines Jahres ab Eröffnung des Verfahrens, bzw. ab Bekanntmachung des Beschlusses nach Art. 632 Abs. 2 (d. h. Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund des Anspruchs eines Gläubigers binnen einer Frist von einem Jahr nach seiner Beendigung gem. Art. 632 Abs. 1 HG) erhoben werden. Sofern die Verrechnung nach dem Tag des Beschlusses zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurde, läuft die Frist ab dem Tag der Verrechnung.
Der Insolvenzverwalter, bzw. der Insolvenzgläubiger, kann auch die durch die Anfechtungsklagen bedungenen Ansprüche für die Auffüllung der Insolvenzmasse geltend machen, indem die Klage durch einen Gläubiger erhoben wird, das Gericht den Insolvenzverwalter von Amts wegen als Nebenkläger konstituiert. Mit der Änderung der Bestimmungen des Art. 649 Abs. 1 HG, die durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Handelsgesetzes – AB 20 vom 28.02.2013 – verabschiedet wurde, führt der Gesetzgeber von Amts wegen die zwingende gesetzliche Vorschrift zur Konstituierung des Insolvenzverwalters als Nebenkläger für Klagen gem. Art. 645, Art. 646 und 647 HG ein. Die allgemeine Klageerhebung von Partnern, deren Beteiligung im Verfahren zwingend ist, ist eine definitiv positive Verfahrensvoraussetzung.
Zum Zweck der Prozessökonomie sieht der Gesetzgeber vor, dass bei einer aufgrund von Art. 645, 646 und 647 HG und Art. 135 SVG erhobenen Klage ein anderer Gläubiger dieselbe Klage nicht erheben, aber spätestens bis zur ersten Hauptversammlung als Nebenkläger beitreten kann.
Die Klagen gem. Art. 645, 646 und 647 HG und Art. 135 SVG in Verbindung mit dem Insolvenzverfahren werden vor dem Insolvenzgericht erhoben, indem die Staatsgebühren für alle Instanzen nicht im Voraus zu leisten sind. Wird der Klage stattgegeben, werden die entsprechenden Staatsgebühren von der verurteilten Partei erhoben und sofern die Klage abgewiesen wird, werden die Gebühren von der Insolvenzmasse beigetrieben.
Das rechtskräftige Urteil ist gegenüber Schuldner, Insolvenzverwalter und sämtlichen Gläubigern wirksam.